Schwertner in "Presse"-Interview über steigende Obdachlosigkeit, "Panikmodus" in Bundesländern, Sparpolitik und Kopftuchdebatte
Wien, 18.12.2025 (KAP) Einen Panikmodus bei staatlichen Sparmaßnahmen, polarisierte Debatten über Armut und Kopftuch sowie wachsende Fremdenfeindlichkeit und Orientierungslosigkeit: Das hat der Wiener Caritas-Direktor Klaus Schwertner angesichts aktueller sozial- und integrationspolitischer Entwicklungen in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Presse" (18. Dezember) geortet. Kritik übte Schwertner vor allem an den kurzfristigen Kürzungen im Sozialbereich, die einen massiven Anstieg von Obdach- und Wohnungslosigkeit zur Folge haben könnten. Er plädierte zugleich für eine sachliche Kopftuchdebatte - "Hass zu schüren bringt uns nicht weiter" - sowie für eine zeitlich befristete Residenzpflicht für anerkannte Geflüchtete.
"Wien hat ein gutes und stabiles soziales Fundament. Aber wir beobachten gerade, dass dieses Fundament Risse bekommt", so Schwertner über Kürzungen im Sozialbereich. Die Bundeshauptstadt trage zwar überproportional Verantwortung, etwa weil sie als einziges Bundesland die Grundversorgungsquote für Asylwerber erfülle, trotzdem würden psychisch kranke Menschen sowie subsidiär Schutzberechtigte mit Jahresbeginn Teile ihrer Sozialleistungen verlieren.
Als Lösung sprach sich der Caritas-Direktor etwa für eine integrationsfördernde, zeitlich befristete Residenzpflicht für anerkannte Geflüchtete aus, um eine stärkere Verteilung auf die Bundesländer zu erreichen. Eine Dauer von rund drei Jahren halte er für diskutabel, betonte jedoch die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Ausgestaltung. "Wir brauchen keine Gesetzgebung mehr, die dann von den Höchstgerichten gehoben wird. Das ist Symbolpolitik. Die erleben wir aktuell leider auch wieder."
Obdachlosigkeit steigt
Derzeit gelten laut Schwertner rund 21.000 Menschen in Österreich als akut obdachlos oder wohnungslos, etwa 60 Prozent davon leben in Wien. Die Dunkelziffer dürfte doppelt so hoch sein. Allein in Wien könnten mehrere tausend weitere Menschen von Wohnungslosigkeit bedroht sein, sollte die Politik nicht gegensteuern. Besonders prekär sei die Lage von subsidiär Schutzberechtigten: In Wien verlieren mit 1. Jänner rund 8.962 Menschen, darunter etwa 2.500 Kinder, den Anspruch auf Mindestsicherung. Mit den vorgesehenen Leistungen aus der Grundversorgung könnten Mieten nicht gedeckt werden, warnte Schwertner.
Zwar zeigte Schwertner Verständnis für die Notwendigkeit von Einsparungen angesichts hoher Defizite, kritisierte jedoch einen "Panikmodus" bei Beschlüssen sowie fehlende strukturelle Reformen. Zuständigkeitskonflikte zwischen Bund und Ländern würden auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen. Als "Lichtblick" bezeichnete er den von der Bundesregierung geplanten Sozialtarif im Energiebereich.
Die aktuelle Kopftuchdebatte hält Schwertner für grundsätzlich gerechtfertigt, "wenn sie behutsam geführt wird". Und weiter: "Aber ehrlich gesagt fürchte ich mich weniger vor Minaretten oder vor Kindern mit Kopftuch als vor zunehmender Fremdenfeindlichkeit, der Polarisierung in der Gesellschaft und nicht zuletzt auch der eigenen Orientierungslosigkeit." Dass sich nun Menschen, "die sich teilweise weit vom Glauben entfernt haben, jetzt besonders Angst haben, dass der Islam in Österreich zu mächtig werden könnte" bezeichnete er wörtlich als "spannend". Denn es liege an einem selbst eigene Werte zu leben. Die Debatte dürfe nicht dazu führen, Menschen gegeneinander auszuspielen, so Schwertner.
"Wettbewerb nach unten"
Kritisch äußerte sich Schwertner auch zur Reform der Sozialhilfe. Die Abschaffung der Mindestsicherung bezeichnete er unter Verweis auf den Fiskalrat als schweren sozialpolitischen Fehler. Der bestehende "Wettbewerb nach unten" zwischen den Bundesländern verschärfe Armut, während direkte Armutsbekämpfung lediglich 0,27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmache. Einsparungspotenzial sieht der Caritas-Direktor eher bei Maßnahmen wie dem Familienbonus Plus, von dem vor allem einkommensstarke Haushalte profitierten. Abschließend appellierte er an die Politik, Sparmaßnahmen im Sozialbereich zu überdenken.
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