Tagung anlässlich der Gründung der Klasnic-Kommission vor 15 Jahren und der Einführung österreichweit verbindlicher Standards gegen Missbrauch und Gewalt im kirchlichen Bereich - Rauscher: Es wurde viel berichtet, aber zu wenig analysiert - Sr. Rod: "Sehe viel strukturelle Schuld" - Küberl: "Gut gedacht und gut gemacht"
Wien, 21.10.2025 (KAP) Nachdem der Skandal des Missbrauchs im kirchlichen Kontext vor 15 Jahren ans Licht kam, braucht es nun eine Phase der vertieften öffentlichen Debatte über die Gründe des Missbrauchs: Darin zeigten sich Expertinnen und Experten bei einer Tagung am Dienstag in Wien einig. Der Journalist und "Standard"-Kolumnist Hans Rauscher, die Generalsekretärin der Österreichischen Ordenskonferenz, Sr. Christine Rod, und der frühere Caritas-Präsident Franz Küberl plädierten in Statements zur Eröffnung der Tagung "Die Wahrheit wird euch frei machen" für "Transparenz, Offenheit und Realismus" im Umgang mit und bei der Kommunikation von Missbrauch in der Kirche.
Hans Rauscher räumte ein, dass in den vergangenen 15 Jahren zwar viel über das Thema Missbrauch berichtet worden sei, es jedoch "ein kleines Defizit" gebe im Blick auf Analysen der Ursprünge und Motive des Missbrauchs - in der Kirche, aber auch in anderen gesellschaftlichen Einrichtungen. "Warum wurden die Missbrauchsfälle so lange verdrängt und vertuscht? Warum hat man den Betroffenen nicht geglaubt? Was stimmt nicht mit den Institutionen?" Vor dem Hintergrund dieser Fragen sei es um so wichtiger gewesen, dass Kardinal Schönborn den Schritt auf Waltraud Klasnic zu gemacht habe, hielt Rauscher fest. "Es gehört Mut und Kraft dazu, die Verleumdung aktiv anzugehen - und auch, sich den Berichten der Opfer auszusetzen. Diesen Mut haben Klasnic und Schönborn bewiesen". Nun müsse dieser Mut sich auch in Form eines öffentlichen Bewusstseins niederschlagen, so Rauscher - "und da braucht es wohl auch in meiner eigenen Branche ein Stück weit Selbstaufklärung".
Eine Debatte über die verschiedenen Formen von Schuldverstrickung auf individueller wie auf struktureller und institutioneller Ebene mahnte auch die Generalsekretärin der Ordenskonferenz. Sr. Christine Rod, ein. "Ich sehe gerade auch im Blick auf die Orden bei dem Thema viel strukturelle Schuld, über die wir nachdenken sollten", so Rod. Zugleich gelte es festzuhalten, wie viel schon geschehen sei: "Wir haben getan, was wir konnten, wir haben die Sache nicht schleifen lassen". Auch dies dürfe - bei aller Kritik und bei allem, was noch zu tun bleibe - an einem Tag wie heute gesagt werden.
"Gut gedacht und gut gemacht"
Auf die wachsende öffentliche Sensibilität beim Thema Missbrauch machte der frühere Caritas-Präsident Franz Küberl aufmerksam. Missbrauch und Gewalt wurzle tief in den Seelen der Menschen und reiche oftmals Generationen zurück, erinnerte Küberl an Zeiten sogenannter "schwarzer Pädagogik" und "autoritärer Führungsstile" aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Neben einer öffentlichen Debatte über solche Fragen dürfe man auch die "volksbildnerische Funktion" von Gesetzesreformen und einschneidenden Ereignissen wie dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) nicht unterschätzen: Habe etwa die Familienrechtsreform von 1975 mit der Ahndung väterlicher familiärer Gewalt und später die Aufnahme der UN-Kinderrechtskonvention in die Verfassung zu einem nachhaltigen Umdenken in der Gesellschaft geführt, so habe das Konzil diese Kehrtwende in der kirchlichen Öffentlichkeit gebracht.
Die Einrichtung der Opferschutzanwaltschaft würdigte Küberl als "nicht nur gut gedacht, sondern auch gut gemacht" - nach 15 Jahren sei es nun wichtig, "den nächsten Schritt zu gehen" und vermehrt das Thema der Prävention in den Blick zu nehmen - und zwar nicht beschränkt auf den kirchlichen Raum. Schließlich geschehe ein großer Teil des Missbrauchs im privaten Milieu bzw. im familiären Umfeld und nicht im kirchlichen Bereich, erinnerte Küberl. Außerdem votierte Küberl dafür, in dem Kontext weniger von Opfern als vielmehr von Betroffenen zu sprechen - schließlich seien diese Personen nicht nur Opfer, sondern Menschen mit vielfältigen Talenten; sie als "Opfer" zu bezeichnen, trage die Gefahr in sich, sie auf ihre Opferrolle zu beschränken. Gleiches gelte im Übrigen für die Rede von den "Tätern".
Reformbedarf ortete Küberl in den kirchlichen Disziplinarverfahren im Umgang mit Missbrauchstätern. Dadurch, dass diese "der Beichte nachgebildet" seien, blieben getroffene disziplinäre Maßnahmen und Sanktionen für die Betroffenen verborgen. Dies sei ein "Dilemma", da es für Betroffene wichtig sei, zu erfahren, ob ihr Leiden auch zu Konsequenzen geführt habe.
Dank an "Grand Dame des Opferschutzes"
Eröffnet wurde die Tagung am Dienstagvormittag mit Grußworten u.a. von Erzbischof Franz Lackner und Bischof Benno Elbs. Elbs hatte in seinem Grußwort die Ereignisse der vergangenen 15 Jahre kursorisch nachgezeichnet und die Genese der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft dargestellt. Darüber hinaus zollte er auch all jenen Personen ausdrücklich Dank, die sich oft im Hintergrund und wenig öffentlich bedankt in den Dienst der Sache gestellt haben - so u.a. Rita Kupka-Baier, die Elbs als eine der Vorständinnen der Stiftung Opferschutz als "Grand Dame des Opferschutzes in Österreich" würdigte. Höhepunkte der Tagung, die noch den gesamten Dienstag dauert, sind Vorträge des internationalen kirchlichen Missbrauchs-Experten P. Hans Zollner und ein Gespräch u.a. mit Kardinal Christoph Schönborn und Waltraud Klasnic.
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