Missbrauch: Neue Publikation zu 15 Jahren Opferschutzkommission
20.10.202514:57
(zuletzt bearbeitet am 20.10.2025 um 16:13 Uhr)
Österreich/Missbrauch/Kirche/Buch
Sammelband bilanziert 15 Jahre Aufarbeitung von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Österreich
Wien, 20.10.2025 (KAP) Eine neue Publikation bilanziert die Art und Weise, wie sich die Katholische Kirche in den vergangenen 15 Jahren dem Thema Missbrauch und Opferschutz gestellt hat. Unter dem Titel "Die Wahrheit wird euch frei machen" - einem Zitat aus dem Johannesevangelium, das auch der kirchlichen Rahmenordnung zum Umgang mit Gewalt und Missbrauch vorangestellt ist - versammelt die im "leykam: Universitätsverlag" erschienene Publikation u.a. Beiträge von Mitgliedern der Unabhängigen Opferschutzkommission sowie ein Gespräch mit Kardinal Christoph Schönborn und Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic.
Präsentiert wird der Band bei der am Dienstag, 21. Oktober, im Wiener Erzbischöflichen Palais stattfindenden Tagung über Missbrauchsprävention und Kinderschutz im kirchlichen Bereich. Eröffnet wird die Tagung, an der u.a. auch Hans Zollner teilnehmen wird, vom Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, und dem Vorsitzenden der Österreichischen Ordenskonferenz, Erzabt em. Korbinian Birnbacher. Beide haben auch das Vorwort zur Publikation verfasst.
Darin danken sie nicht nur Schönborn und Klansic für ihr beherztes und professionelles Agieren - ein "Glücksfall", so die Autoren -, sondern sie unterstreichen auch, dass der eingeschlagene kirchliche Weg der Aufarbeitung wie der Prävention weiter gegangen werden muss. "Es darf nie mehr passieren, dass das Ansehen der Institution über die Leiden der Opfer gestellt wird, dass Täter lediglich versetzt und Verbrechen vertuscht werden", so Lackner und Birnbacher. Vieles sei in diesem Sinne gelungen in den vergangenen 15 Jahren - künftig bleibe das Ziel aber bestehen, "eine breite gesellschaftliche Allianz" zu schaffen, "um das nach wie vor verbreitete Tabu darüber aufzubrechen und Kinder noch besser zu schützen".
In dem inhaltlich den Band eröffnenden Doppelinterview mit Kardinal Schönborn und Waltraud Klasnic wird die Genese der Einrichtung der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft rekonstruiert; zudem unterstreicht Schönborn, dass Missbruch nichts Geringeres darstellt als "Gottesvergiftung". Dies sei die heute klare kirchliche Linie, die man in Österreich verfolge - und die auch im Vatikan gewürdigt werde, insofern das österreichische Modell dort neben drei weiteren als vorbildlich bezeichnet werde. Der Auftrag, der daraus erwachse, bleibe bestehen als "Dauerauftrag für die Gesellschaft und die Kirche". Mehr Einsatz brauche es dem Kardinal zufolge im Bereich der Prävention von spiritueller Gewalt "oder sogar der sexuelle Missbrauch speziell von Ordensfrauen". Hier müsse die Kirche "mehr tun als bisher".
In einem persönlichen Resümee unterstreicht Klasnic, dass es "richtig" war, zu der Aufgabe "Ja" zu sagen: "Es hat nicht nur den Betroffenen geholfen, sondern auch mir. Ich habe oft gespürt, dass ich mit einem Ja zur Würde eines Menschen beitragen kann. Es war nicht leicht, aber es hat sich gelohnt."
Auf Ersuchen von Kardinal Christoph Schönborn und der Bischöfe hatte Klasnic im April 2010 die Aufgabe als Unabhängige Opferschutzanwältin übernommen. In der Folge konstituierte sich unter ihrem Vorsitz die Unabhängige Opferschutzkommission mit anerkannten Fachleuten. Bald danach, im Juni 2010, beschloss die Bischofskonferenz dann unter dem biblischen Leitwort "Die Wahrheit wird euch frei machen" (Joh 8,32) Richtlinien gegen Missbrauch und Gewalt im kirchlichen Bereich, die seither gelten und zuletzt 2021 aktualisiert wurden.
Namhafte Autoren
Für das vorliegende Buch haben Expertinnen und Experten aus Österreich, Deutschland und Rom Beiträge verfasst. So schreibt der im vatikanischen Glaubensdikasterium für Missbrauchsfälle zuständige Theologe und Jurist Manfred Bauer über die kirchenrechtlichen Aspekte der Thematik. Reflexionen über den Umgang mit der Missbrauchsthematik bieten der deutsche Jesuit Klaus Mertes sowie der in Rom an der päpstlichen Universität Gregoriana lehrende Jesuitenpater Prof. Hans Zollner. Als Bischof und Psychotherapeut schreibt der Feldkircher Bischof Benno Elbs zum Thema Opferschutz.
Patrick Frottier widmet sich der Bedeutung von forensischen Gutachten im Blick auf Beschuldigte und Täter. Der Wiener Ordinariatskanzler Gerald Gruber geht auf die kirchenrechtlichen Aspekte der Thematik ein und der Grazer Offizial des Diözesangerichts, Gerhard Hörting, legt dar, wie verschiedene Formen von Gewalt und Missbrauch juristisch erfasst und definiert werden können. Weitere Beiträge stammen von Herwig Hösele, Rita Kupka-Baier, Caroline List, Kurt Scholz, Johannes Wancata und Paul Wuthe.
Das Buch (ISBN 978-3-7011-0601-1) ist seit Montag verfügbar. Es hat 184 Seiten, enthält zahlreiche Fotos und kostet 25 Euro.
3.651 Meldungen seit 2010 eingegangen
Detailliert Auskunft gibt das Buch über die bisherige Behandlung von Missbrauchsfällen im kirchlichen Bereich. Demnach sind seit 2010 bis heuer Ende Juni 3.651 Meldungen gemäß Verfahren der kirchlichen Rahmenordnung gegen Missbrauch und Gewalt eingegangen. Dabei handelt es sich zu rund zwei Drittel um Männer (62,4 Prozent).
Davon hat die Unabhängige Opferschutzkommission (UOK) in 3.492 Fällen entschieden. Dabei entscheidet die Kommission nach einem selbst beschlossenen Reglement über die Zahlung einer Finanzhilfe - je nach Schwere der Vorfälle - in vier Kategorien: 5.000, 15.000, 25.000 und in besonders schweren Fällen auch über 25.000 Euro. Gegebenenfalls werden zudem Therapiestunden finanziert. Bislang wurden in Summe 37,7 Mio. Euro zuerkannt. Davon 29,8 Mio. Euro als Finanzhilfen und 7,9 Mio. Euro für Therapien. Die Kirche hat alle Entscheidungen der UOK umgesetzt. In 278 Fällen wurden keine Leistungen zuerkannt.
Die meisten Vorfälle waren zum Zeitpunkt der Meldung rechtlich verjährt und beziehen sich überwiegend auf die Zeit vor 1980 (81,2 Prozent), die Zeit zwischen 1980 und 1999 betreffen 16,5 Prozent und auf die Zeit ab dem Jahr 2000 entfallen 2,3 Prozent. Die Verjährungsfristen spielen aber für die kirchliche Aufarbeitung bzw. die Hilfszahlungen keine Rolle.
Hauptsächlich Fälle in Heimen
Die überwiegende Mehrheit der Meldungen bezieht sich auf Heime und Betreuungseinrichtungen für Kranke oder Menschen mit Behinderung (61,3 Prozent). Auf den schulischen Bereich bzw. zugehörige Internate oder Kindergärten entfallen weitere 21,6 Prozent. Die Meldungen aus pfarrlichen Zusammenhängen machen 11,7 Prozent aus, jene aus Klöstern und Orden 1,9 Prozent (sonstige Zusammenhänge 3,5 Prozent).
Fast die Hälfte der Betroffenen (47 Prozent) meldete Vorfälle zu sexueller Gewalt. Bei allen anderen Vorfällen ging es um Formen von körperlicher bzw. psychischer Gewalt. Zumeist treten die Gewaltformen gemischt auf (Mehrfachnennung möglich). Psychische Gewalt wird am häufigsten genannt (82 Prozent), knapp gefolgt von körperlicher Gewalt (80 Prozent).
Zum Zeitpunkt der Vorfälle waren die Betroffenen überwiegend 6 bis12 Jahre alt (63,3 Prozent). Die Betroffenen wurden zu 72 Prozent vor 1966 geboren. Der Altersdurchschnitt zum Zeitpunkt der Meldung liegt über die Jahre hinweg zwischen 52 und 60 Jahren.
Anlässlich der Gründung der Klasnic-Kommission vor 15 Jahren und der Einführung österreichweit verbindlicher Standards gegen Missbrauch und Gewalt im kirchlichen Bereich
Scheidende Vorsitzende der Unabhängigen Opferschutzkommission, Waltraud Klasnic, und ihre designierte Nachfolgerin Caroline List im Kathpress-Interview über die Arbeit der Kommission, gelungene aufgaben und bleibende Herausforderungen im Blick auf Missbrauchsaufarbeitung und Prävention
Abschlusserklärung zur Sommervollversammlung der Bischofskonferenz in Mariazell: "Hilfe für Opfer, die Vorgangsweise bei Verdachtsmomenten und die Präventionsmaßnahmen müssen konsequent weitergeführt werden" - Besonderer Dank an scheidende Opferschutzanwältin Klasnic und Nachfolgerin List