Früherer Papstsekretär beobachtet in Lettland, Litauen und Estland wachsende Angst vor russischem Angriff - Vatikan trotz "Ohrfeige für den Papst" für Friedensvermittlung bereit
Freiburg, 29.12.2025 (KAP/KNA) Der frühere Papstsekretär und heutige Papstbotschafter im Baltikum, Erzbischof Georg Gänswein, beobachtet in den baltischen Staaten eine wachsende Angst vor Russland. Viele seiner Gesprächspartner in Lettland, Litauen und Estland fragten sich, ob Russland bald angreifen werde, sagte Gänswein im Interview der "Herder Korrespondenz" (Jänner). Er höre auch oft die sorgenvolle Frage, ob im Kriegsfall die EU und die Nato den baltischen Staaten wirklich zur Seite stehen würden. Diese Fragen weckten schlimme Erinnerungen an die "jahrzehntelange sowjetische Unterdrückung" der Menschen im Baltikum.
Gänswein verwies auf konkrete sicherheitspolitische Vorfälle, die die Sorgen in der Region weiter anheizten. Er sprach von "Drohnen über polnischem Hoheitsgebiet", von russischen Militärflugzeugen, die den Luftraum Estlands verletzt hätten, sowie von Ballons mit Schmuggelware, die in Litauen zeitweise den Flugverkehr lahmgelegt hätten. Diese Ereignisse würden in den baltischen Staaten als "vom Osten gesteuerte Provokationen" wahrgenommen, deren Ziel es sei, "Verunsicherung zu stiften".
Aus Gänsweins Sicht ist eine Waffenruhe im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine derzeit in weiter Ferne. "Es fehlt auf russischer Seite offensichtlich der ernsthafte Wille zum Frieden."
Mit Blick auf die internationale Sicherheitsarchitektur äußerte sich der vatikanische Diplomat auch besorgt über die Rolle der Vereinigten Staaten. "Nicht nur das Baltikum, ganz Europa ist auf die militärische Hilfe der USA angewiesen", sagte Gänswein. Wer jedoch die US-Politik gegenüber Europa verfolge, müsse feststellen, "dass von Kontinuität nicht viel zu erkennen ist". Diese Erfahrung sei "Gift für das, was Verlässlichkeit bedeutet", weshalb die baltischen Regierungen unermüdlich darauf hinwirkten, dass die NATO-Ostflanke nicht vernachlässigt werde.
Gänswein, der seit 2024 Vatikanvertreter im Baltikum ist, betonte, die vatikanische Diplomatie versuche alles, um für Frieden zu arbeiten. Allerdings habe Russland das Angebot von Papst Leo XIV. ausgeschlagen, als Friedensmittler zu wirken. "Damit war die Tür für Friedensverhandlungen unter vatikanischer Vermittlung zunächst einmal zugeschlagen, undiplomatisch ausgedrückt: eine Ohrfeige für Papst und Vatikan", sagte Gänswein. Daher sei auch eine Reise des Papstes in die Ukraine "gegenwärtig kaum realisierbar".