Kunsthistoriker Rauchenberger: Christliche Ikonografie kommt heute in neuen Kontexten wieder - Kritische Reaktionen auf Kunst mit Religionsbezug ein Ausdruck von Polarisierung - Plädoyer für "Deeskalation" rund um Künstlerhaus-Debatte
Salzburg, 25.12.2025 (KAP) Religiöse Motive sind nach Einschätzung des Grazer Theologen und Kunsthistorikers Johannes Rauchenberger in der Gegenwartskunst weiterhin präsent, wenn auch in veränderter Form. Die These, "wonach die Bildgeschichte des christlichen Gottes im Abendland abgelaufen sei", habe sich als falsch erwiesen, sagte Rauchenberger in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten". Christliche Ikonografie schwinge in vielen zeitgenössischen Arbeiten mit, werde jedoch "abgewandelt, gebrochen, in neue Kontexte gebracht".
Klassische Krippen- oder idyllische Weihnachtsdarstellungen spielten in der Gegenwartskunst hingegen kaum eine Rolle. Das Krippenmotiv entstamme vor allem der Volksfrömmigkeit, erklärte Rauchenberger. "Interessante, mehrdimensionale Krippendarstellungen in der zeitgenössischen Kunst gibt es in der Tat kaum welche." Bildwürdig werde die Weihnachtsgeschichte vielmehr dort, "wenn es um das Thema Flucht und Armut geht".
Zentral bleibe dagegen das Motiv der Madonna mit dem Kind. Es handle sich um "ein uraltes Thema", das vielseitig bearbeitet werde, so Rauchenberger. Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler griffen Mutter-Kind-Darstellungen auf, thematisierten aber auch deren Brüche: In einer Arbeit von Julia Kahn etwa "fehlt das Kind", was Fragen nach Rollenbildern und Lebensentwürfen aufwerfe.
Viele dieser Künstlerinnen und Künstler verstünden sich dabei nicht ausdrücklich als religiös. Es gehe ihnen um "das Befragen von Stereotypen", um gesellschaftliche Analyse oder feministische Perspektiven, sagte Rauchenberger. Zugleich seien die Bildthemen existenziell: "Es geht ja nicht nur um die Madonna, sondern sehr wohl um die Mutter-Kind-Beziehung" und um Projektionen von Hoffnung und Zukunft.
Kritische Reaktionen auf zeitgenössische Kunst mit religiösen Bezügen hält Rauchenberger für Ausdruck zunehmender Polarisierung. In der aktuellen Debatte um eine Ausstellung im Wiener Künstlerhaus plädierte er für "Deeskalation". Wer sich verletzt fühle, solle erklären, warum. "Mit Bränden aber kann man keine Diskussion führen", sagte er mit Blick auf aufgeheizte Reaktionen.
Alte Erzählung neu zu erzählen
Künstlerinnen und Künstler setzten sich mit christlicher Ikonografie auch vor dem Hintergrund kirchlicher Schuldgeschichte auseinander. Das sei legitim, betonte Rauchenberger: "Gerade da ist die Freiheit der Kunst nicht hoch genug zu hängen." Kritik zerstöre Religion nicht, vielmehr zeige sich Gewalt dort, "wo extremistisch Glaubende Kunstwerke zerstören".
Für die Kirche sei der Dialog mit zeitgenössischer Kunst unverzichtbar. "Gäbe es nicht die heutigen Bilder, die eine Bildgeschichte Gottes aktualisieren, wäre diese Religion kulturell tot", sagte Rauchenberger. Aufgabe der Kunst sei es, "die alte Erzählung neu zu erzählen", während sich umgekehrt auch die Kirche der Gegenwart stellen müsse, um nicht den Anschluss zu verlieren.