Prager Religionsphilosoph in "Furche"-Interview: Hoffnung auf weitere Schritte Leos auf dem Weg einer spirituellen Öffnung des Katholizismus - Dienste der Kirche in der modernen Welt neu definieren
Wien, 27.11.2025 (KAP) Die wichtigste Aufgabe des Christentums im 21. Jahrhundert liegt dem tschechischen Theologen und Religionsphilosophen Tomas Halík zufolge darin, ein "Feldlazarett" für die Welt zu sein. Halík knüpfte damit im Interview mit der Wochenzeitung "Die Furche" (27. November) an eine Formulierung von Papst Franziskus an. Dies bedeute nicht nur, dass sie "Wunden verbinden" müsse, sondern auch, "ansteckende geistige und spirituelle Krankheiten wie Populismus, Nationalismus und religiösen Fanatismus" zu diagnostizieren und zu heilen, die die Welt "in die Fänge amoralischer Autoritären wie Putin und Trump treiben", so Halík, der zugleich davor warnte, jene Kräfte zu unterschätzen, "die die europäische Einheit zerstören, wie Orbán und Fico und Nationalisten in anderen Ländern".
Zudem warnte Halik vor einer Politisierung des Christentums durch einen "vulgären evangelikalen Fanatismus", aus dem ein politischer Herrschaftsanspruch erwächst. Dies sei "geradezu eine Karikatur dieses Feuers des Heiligen Geistes". Der "fanatische Trumpismus" etwa, den Unterstützer der MAGA-Bewegung zeigen, stehe "in direktem Widerspruch zur katholischen Soziallehre" und missbrauche den Namen Gottes: "Der Gott, auf den sich Trump und seine Anhänger berufen, ähnlich wie der Gott des 'Prosperity Gospel' oder der Gott der russischen Armee, den Patriarch Kyrill anruft, das ist nicht der Vater Jesu Christi, sondern ein blasphemischer Götze, eine Projektion des Machstrebens, die Menschenopfer fordert."
Zuversichtlich zeigte sich Halík im Blick auf Papst Leo XIV.: von ihm erwarte er sich, dass er an den Mut seines Vorgängers anknüpfe, um "aus der Sackgasse des klerikalen Katholizismus herauszufinden" und sich "in Richtung einer offenen und vor allem tiefen Katholizität zu bewegen, die eine dauerhafte Aufgabe aller Getauften ist". Spiritualität sei schließlich "genau diese tiefe Dimension des Glaubens, um die man sich vor allem kümmern muss". Dies sei auch das Geheimnis, um den Herausforderungen der Säkularisierung zu begegnen. Schließlich könne man die Säkularisierung als eine Art "Heilmittel" Gottes betrachten "gegen die Krankheit des Triumphalismus, des Klerikalismus, der Oberflächlichkeit und der Selbstbezogenheit der Kirche". Aus dieser führe eine neu entdeckte tiefe, sich nicht im Privaten erschöpfende Spiritualität heraus sowie das, was Franziskus der Kirche mit dem Stichwort Synodalität als "Hauptaufgabe des Christentums für das dritte Jahrtausend" ins Stammbuch schrieb.
Für die Pastoral empfahl der Theologe, dass die Kirche das "parochiale Denken" (pfarrgemeindlich, Anm.) hinter sich lassen sollte. Das Ziel von Kirche bestehe schließlich nicht vorrangig darin, Menschen in die Gottesdienste zu bringen und für genügend Kleriker zu sorgen. Es brauche neue Visionen der heute notwendigen Dienste der Kirche. "Dies erfordert eine tiefere Theologie und Spiritualität des Dienstes in der Kirche". Halík: "Es ist notwendig, den Exodus vom Katholizismus der Moderne hin zu einer Katholizität, einer tieferen Ökumene und einer synodalen Kommunikationskultur in der komplexen postmodernen Welt fortzusetzen. Heute sind Atheismus und säkularer Humanismus längst nicht mehr die größten Herausforderungen für die Kirche, wie es zur Zeit des Konzils der Fall war, sondern einerseits religiöse Gleichgültigkeit und andererseits der Aufschwung einer Spiritualität, die außerhalb des traditionellen Raums der Kirche lebt."