Die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung wurde am 18. November 1965 vom Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedet
Wien, 26.11.2025 (KAP) Wenn man heute - sei es in der akademischen Theologie oder in der liturgischen Praxis - einen biblischen Text liest und auslegt, so gilt es als Selbstverständlichkeit, dabei die Instrumente moderner Interpretation und historisch-kritischer Analyse anzuwenden. Dass die Exegese und Bibelwissenschaft diese Entwicklung genommen hat, ist nicht selbstverständlich und historisch eng mit dem Dokument und der Wirkungsgeschichte des Dokuments "Dei verbum" verbunden. Es wurde am 18. November 1965 - vor 60 Jahren - von den Konzilsvätern beim Zweiten Vatikanischen Konzil mit 2.344 zu 6 Stimmen angenommen und durch Papst Paul VI. promulgiert.
Das Dokument legte die Basis für ein nach heutigen Maßstäben modernes kirchliches Textverständnis, insofern das Verhältnis von Tradition und Heiliger Schrift bestimmt wird und dabei auch Möglichkeiten für die Verwendung der historisch-kritische Exegese in der katholischen Theologie geschaffen werden. Diese Methode interpretiert den biblischen Text vor dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte und der zur Entstehungszeit bestimmenden sozialen, politischen und gesellschaftlichen Faktoren. "Darum braucht die Kirche die wissenschaftliche Exegese, deren Forschungsfreiheit gerade durch diesen Konzilstext gesichert wird und deren Rang ausdrücklich anerkannt wird: durch ihre wissenschaftliche Vorarbeit reift erst das Urteil der Kirche", würdigen Karl Rahner und Herbert Vorgrimler in ihrem "Konzilskompendium" das Dokument.
Zugleich wurde mit "Dei verbum" ein zentrales Anliegen der Reformation katholisch aufgegriffen: Die Rückholung der Heiligen Schrift in die Mitte des kirchlichen Lebens. Dies geschah u.a. dadurch, dass die Konzilsväter "grünes Licht" gaben für die Übersetzung der Heiligen Schrift in die Landessprachen und für die Schaffung von Bildungseinrichtungen, um den Menschen die biblischen Texte neu zu erschließen.
Erste Vorlagen scheiterten
Inhaltlich befasst sich "Dei verbum" - wie der Name schon sagt - mit der göttlichen Offenbarung (lat. "Gottes Wort"). Es war den Konzilsvätern von Beginn des Konzils an ein Anliegen, ein Dokument über die Offenbarung zu erarbeiten. Erste Vorlagen scheiterten u.a. an einem zu stark "instruktionstheoretischen" Offenbarungsverständnis, d.h. an einem Offenbarungsverständnis, das Offenbarung als reine göttliche Selbstmitteilung an den Menschen verstand.
Auf Initiative von Paul VI. wurde schließlich eine "gemischte Kommission" eingesetzt, um ein neues Schema zu erarbeiten. Sie stand unter Vorsitz der Kardinäle Alfredo Ottaviani und Augustin Bea.
Lehramt hat letztes Wort
Im ersten Kapitel (DV 1-6) wird festgehalten, dass Gott sich selbst durch sein heilsgeschichtliches Handeln offenbart, zuletzt authentisch in Jesus Christus, der das fleischgewordene Wort Gottes ist. Der Glaube entsteht durch "die zuvorkommende und helfende Gnade Gottes" (DV 5) und bedeutet, dass "sich der Mensch Gott als ganzer in Freiheit überantwortet". Der "Glaubensgehorsam" wird ganz auf Gott selbst bezogen, dem der Glaubende sich "mit Verstand und Willen voll unterwirft" (DV 5). Das sind auch evangelische Sätze.
Im zweiten Kapitel (DV 7-10) wird dann die "Weitergabe der göttlichen Offenbarung" behandelt. Hier wird der Glaubensgehorsam gegenüber Gott konkretisiert als kirchlicher Gehorsam gegenüber den Vermittlungsinstanzen "Heilige Schrift, Tradition und Lehramt".
Die Heilige Schrift wird zwar in dem Text als "höchste Richtschnur des Glaubens" (DV 21) bezeichnet, sie wird aber zugleich als "eng verbunden" mit dem Glauben der Kirche durch die Jahrhunderte gesehen, wobei - und das ist ökumenisch der springende Punkt - in Streitfällen über ihre richtige Auslegung und Anwendung "nur dem lebendigen Lehramt der Kirche", das heißt dem Papst und den Bischöfen, eine verbindliche Autorität zukommt. Hier geht es zwar nicht um die Frage der Heilsgewissheit selbst, wohl aber um die Frage der authentischen Heilsvermittlung in der Kirche und durch die kirchliche Institution.
Trotz der Versicherung, das Lehramt stehe nicht über dem Wort Gottes, sondern diene ihm, wird deutlich, dass bei allen konkreten Fragen das bischöfliche und päpstliche Lehramt das letzte Wort hat.
"Noch nie hat ein Konzil oder überhaupt das höchste Lehramt der katholischen Kirche so intensiv und so ausführlich über das Wort Gottes und über die Heilige Schrift gesprochen", so Rahner und Vorgrimler. "Die Konstitution lässt die Forschungsfreiheit der Exegeten bestehen und erkennt die Legitimität ihrer wissenschaftlichen Methoden an. Sie greift nicht verurteilend in die innerkatholischen Kontroversen ein. Sie unterbindet den ökumenischen Dialog über Schrift und Tradition nicht. Und das ist weitaus mehr, als im November 1962 zu erhoffen war."
(Weitere Meldungen und Hintergrundberichte zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 60 Jahren im Kathpress-Themenpaket unter www.kathpress.at/60-Jahre-Konzilsende)