Wiener Politikwissenschafterin in Blog der Katholischen Sozialakademie: Der Polarisierung in liberalen Demokratien mit persönlichen Gesprächs-, Dialog- und Zuhörformaten begegnen - Konstruktiven Dialog mit jenen suchen, "die noch nicht fix im Lager der Autokraten angekommen sind" - Werbung für österreichweite Demokratiewoche vom 20. bis 26. Oktober
Wien, 18.10.2025 (KAP) Persönliche Gesprächs-, Dialog- und Zuhörformate können in Zeiten, da die liberalen Demokratien "am Zerbröseln" seien und es "Wahlautokraten" an die Macht schaffen, demokratiestabilisierend wirken. Dabei gehe es um die Artikulation von Sorgen, um Austausch von strittigen Meinungen, um Üben von Uneinigkeit - und um Brücken bauen, erklärte die Wiener Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger in einem aktuellen Beitrag für den Blog der Katholischen Sozialakademie (ksoe).
Die Notwendigkeit, Differenzen respektvoll und zivilisiert auszutragen, habe zuletzt US-Präsident Donald Trump mit seinen polarisierenden Worten bei der Gedenkfeier für den ermordeten rechtsextremen Influencer Charlie Kirk aufgezeigt. "Ich hasse meine Gegner. Und ich will nicht das Beste für sie", habe der höchste Repräsentant der traditionsreichen US-Demokratie die Trauergemeinde wissen lassen. "Seither haben sich politische Freund-Feind-Taktiken, Hass, Fehl- und Falschinformationen von Oben, die in die Gesellschaft einsickern und dort Angst, Wut, Gewalt und Polarisierung befeuern, verschärft", merkte Rosenberger an.
Tendenzen in diese Richtung seien mittlerweile auch europäischen Gesellschaften nicht fremd. Menschen würden einander bei wesentlichen Themen "nicht nur kompromisslos, sondern emotional feindselig gegenüberstehen". Verantwortlich für sich vertiefende Gräben machte die Politikwissenschafterin politische Parteien am rechtsautoritären Rand, die auf eigenen Medienkanälen und via Influencer Hassbotschaften und Fake News Bedrohungs- und Feindbilder schüren. Auch konservative und linke Kulturkämpfe wie die Cancel Culture brächten erfolgreiche "Polarisierungsakteur:innen" hervor.
Rosenberger verwies auf eine Studie über die Wahlmotive bei 143 Wahlgängen in zwölf westlichen Demokratien, die ein "ernüchterndes Ergebnis" erbrachte: Die Gegnerschaft, die klare Abgrenzung - bis hin zum Hass - sei ein stärkeres Motiv, eine bestimmte Partei zu wählen, als Loyalität und Solidarität.
Niederschwellige Dialog-Angebote
Eine Gegenbewegung dazu bildeten niederschwellige Dialog-Angebote: Diskurscafés, Demokratielabors, Grätzel-Runden, Mini Publics würden ebenso "boomen" wie Gespräche im öffentlichen Raum, auf der Straße oder Haustürgespräche vor Wahlen. Gefördert würden diese Initiativen sowohl von politischen Parteien und kommunalen Verwaltungen als auch von Zivilgesellschaft, Bibliotheken und Erwachsenenbildung.
Wie stark daraus demokratiestabilisierende Effekte erwachsen, sei in der Forschung umstritten, so Rosenberger. Eine kürzlich erschienene Studie zur Spaltung in den USA formuliere Skepsis mit dem Argument, dass gesellschaftliche Dialogformate kaum etwas gegen die einflussreichen Kommunikationsinstrumente der Regierung ausrichten könnten. Andere Studien zeigten hingegen, dass soziale Interaktionen wie Dialoge durchaus Vertrauen in demokratische Institutionen schaffen und Einstellungen verändern können. Rosenbergers Einschätzung: "Dialogarbeit kann sich demokratiepolitisch lohnen, vorausgesetzt, dass der Dialog konstruktiv gestaltet ist."
Es brauche beiderseitigen Willen, den Stachel der Polarisierung, die Feindseligkeit, zu überwinden, betonte die Expertin. Gefordert sei die Bereitschaft, anderen zuzuhören und nicht nur selbst zu reden; es gelte die Fähigkeit zu schulen, "voneinander zu lernen, zu reflektieren, andere Perspektiven, Wissen und Wahrheiten herauszufinden, um kompromissfähig zu werden oder Positionen sachlich vertreten zu können". Wichtig sei außerdem, strittigen Themen nicht nur aufklärerisch, mit Fakten, zu begegnen. "Es müssen auch die in den Streitthemen eingelagerten Gefühle wie Angst, Wut und Zorn einen Platz finden."
Die Gespräche der Initiative "Ja Demokratie" - in der Rosenberger selbst aktiv ist - würden verdeutlichen, wie sehr politikfernen Menschen mit bescheidenen sozio-ökonomischen Ressourcen Gefühle der Zugehörigkeit und Wertschätzung fehlen und daraus Ablehnung und Frust resultieren. Empathische Gespräche könnten, wenn auch nur individuell, hier ein Gegengewicht bilden.
Gefahr der Instrumentalisierung
Die Politikwissenschafterin warnte zugleich vor der Gefahr von Instrumentalisierung. Eine solche liege vor, wenn im Namen der Meinungsfreiheit für Hassbotschaften, rassistische Aussagen und falsche Behauptungen der gleiche Stellenwert beansprucht werde wie für Fakten, begründete Aussagen und humanistische Werte.
Rosenberger nannte als Beispiel dafür den ermordeten Charlie Kirk, der an Universitäten Debatten zur konservativen Turning Point USA-Wende organisierte. Die MAGA-Bewegung feiere ihn für sein mutiges Eintreten für Meinungsfreiheit. Doch Kirk habe bei seinem Einstehen für rechte, konservative Inhalte sein Gegenüber als Staatsfeind oder Gottesgräuel dämonisiert.
Sich der Unfairness verweigern
Nicht nur rechtsextreme Inhalte gefährden die Demokratie, sondern auch die Art und Weise, wie geredet wird, verwies Rosenberger auf das Buch "Mit Rechten reden" der Autoren Leo/Steinbeis/Zorn. Andere zu diffamieren, um sie zu "besiegen", sei eine beliebte Taktik. Jedoch, das Sprachspiel, die Welt in Freund und Feind einzuteilen, funktioniere nur, wenn der identifizierte "Feind" mitmacht. Die Autoren raten, sich hin und wieder sich zu verweigern, nicht auf jede Parole und Provokation hineinzufallen, nicht jede Einladung für eine Talkshow anzunehmen.
Dialog bringe kaum etwas mit politischen Extremisten, wohl aber mit jenen, "die noch im politischen Graubereich irren, die zwar in Richtung Demokratieverachtung tendieren, aber noch nicht fix im Lager der Autokraten angekommen sind", hielt Rosenberger fest. Gerade angesichts der Tatsache, dass Menschen dazu neigen, negative Ereignisse zu überschätzen und positive zu unterschätzen, lohne sich das persönliche Gespräch.
Demokratischer Dialog sei nicht wertfrei, er trete parteiisch für Freiheit und Gleichheit ein. Die österreichweite Demokratiewoche von "BÜNDNIS 2025" vom 20. bis 26. Oktober greife dazu wichtige Fragen auf: "Wie werden Werte als nicht verhandelbar begründet? Warum soll das demokratisch sein? Und was ginge verloren, wenn die liberale Demokratie verloren geht?" Die Demokratiewoche soll durch Vermittlung von Dialogtechniken zur gesellschaftlichen Entpolarisierung beitragen und Werte, Institutionen, Verfahren und Leistungen der Demokratie reflektieren. (Info: https://buendnis2025.at/demokratiewoche-buendnis-2025; www.ksoe.at)