Zulehner: "Rettet das christliche Abendland vor der FPÖ"
03.10.202511:23
Österreich/Kirche/Politik/Zulehner
Pastoraltheologe fährt im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" schwere Geschütze gegen "fragwürdigen politischen Katholizismus" Herbert Kickls auf
Salzburg, 03.10.2025 (KAP) Mit deutlichen Worten hat sich der Wiener Pastoraltheologe Prof. Paul Zulehner zur "Causa Kickl" in die laufende Debatte eingebracht. Er sieht im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" (Freitag) in der parteipolitischen Vereinnahmung von Religion einen Affront. Den "fragwürdigen politischen Katholizismus" eines Herbert Kickl müsste man im Grunde ebenso bekämpfen wie den politischen Islam, sagte Zulehner. Nachsatz: "Rettet das christliche Abendland vor der FPÖ".
Die Strategie, sich auf Gott zu berufen, wenn man etwas rechtfertigen und sich unangreifbar machen will, sei so alt wie die Menschheit. Ähnliches versuchten politische Parteien in aller Welt, so der Theologe: "Das passiert in Amerika unter Donald Trump, so macht es die AfD, so macht es Orbán und eben auch Kickl." Insofern sei Kickls Ansatz jedenfalls nicht originell.
Zugleich räumte der Pastoraltheologe ein, dass es wohl sehr viele Kirchenmitglieder gebe, "die vielleicht nicht FPÖ wählen, aber verwandte Ansichten haben. Und die will Kickl zu sich ziehen", so Zulehner zu den Motiven des FP-Chefs. Aus Sicht des Politikers sei es wohl auch legitim, mit allen Mitteln Wähler zu akquirieren.
Die Kernfrage sei nur: "Entsprechen die Meinungen dieser Kirchenmitglieder dem eigenen Evangelium?" Die Politik der FPÖ stehe in relativ hohem Widerspruch zum Evangelium, wenn es um die Liebe zum Nächsten oder die Sorge um Schutzsuchende geht. Diese Frage müsse auch kirchenintern diskutiert werden. Die Kirchenleitung müsste beunruhigen, "dass zu viele Mitglieder dieselben evangeliumsfremden Auffassungen haben wie die FPÖ", so Zulehner. Nachsatz: "Mehr Bibellesen und (sozial)politische Bildung für mündige Christinnen und Christen wäre angebracht!"
Kickl müsse sich aber zumindest wirklich anstrengen, "wenn er den inneren Kreis der Kirchenmitglieder erreichen will. Das wird ihm mit seinen Plakaten und Anbiederungen an den Apostel Paulus nicht gelingen. Er wildert da eher am Rand der Kirche." Wobei Kickl das Christentum vor allem als Mittel für einen Kulturkampf nutze, zur "Rettung des Abendlandes". Dazu wolle er als Theologe sagen, so Zulehner: "Rettet das christliche Abendland vor der FPÖ! Was die FPÖ darunter versteht, ist eine Karikatur desselben, eine Art 'christentümliche' Gesellschaft."
Zu sagen, man wolle in Europa nur Christen, sei anachronistisch. "Europa ist nicht mehr wie im Jahr 1400 einheitlich christlich, sondern wir haben eine hohe weltanschauliche Verbuntung", so Zulehner. Das plakative Bild vom "christlichen Abendland" sei ein Affront gegen andere Religionen und andere Menschen guten Willens im Land. Kickl praktiziere hier einen "fragwürdigen politischen Katholizismus". Den müsste man genauso bekämpfen wie den politischen Islam, "denn beide missbrauchen ihre heiligen Schriften, die Bibel, den Koran, für politische Interessen", so der Theologe. So gesehen sei er - Zulehner - ein Gegner dieser Art des politischen Katholizismus genauso wie eines ähnlichen politischen Islam.
Religion ist immer politisch
Das bedeute freilich nicht, "dass ich als Katholik nicht politisch bin". Religion sei immer politisch, "weil sie die Welt zum Guten verändern will". Zulehner: "Wenn der Papst über Frieden in der Ukraine und in Gaza spricht, dann ist das höchst politisch. Aber die Kirche hat längst aufgehört, parteipolitisch zu sein." Jede Vereinnahmung für parteipolitische Zwecke, wie sie derzeit passiert, sei ein Affront und zerstöre die politische Marke Christentum.
Angesprochen auf den auch in Österreich spürbaren Trend hin zu Freikirchen wie in den USA, meinte der Theologe: "Sowohl die FPÖ wie evangelikale Kirchenmitglieder haben eines gemeinsam: Sie sind für starke Autoritäten. Sie sagen, recht hat, wer oben ist, und dem folgen wir." Diese Grundhaltung sei dann gleichsam der Filter "für das, was aus dem Evangelium herausgenommen wird, also das, was ihre Haltung rechtfertigt, aber nicht, was ihr widerspricht". So gesehen sei es ganz natürlich, dass es diese Allianzen gibt, vor allem in Amerika zwischen dem republikanisch-autoritären System eines Donald Trump und den evangelikalen Christen. Der gemeinsame Nenner sei dann nicht das Evangelium, sondern die autoritäre, antidemokratische Grundhaltung in der Politik.
"Die liberale Euphorie ist vorbei"
Zulehner ortet diesbezüglich einen weltweiten Trend, der auch eine Absage an frühere Prognosen sei, dass es mit der Religion abwärts und mit der Liberalität immerfort aufwärts gehen werde. Dieser Trend kippe gerade. "Wir haben weltweit eine Revolte gegen liberale Vorstellungen sowohl in der Religion als auch in der Politik. Die liberale Euphorie ist vorbei."
Auch in der katholischen Kirche würden jene Kreise Oberwasser gewinnen, die nicht im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) für eine weltoffene Kirche stehen, "sondern die evangelikal sind, also die Freiheit ablehnen und etwa eine Pro-Life-Ethik vertreten". Damit gehe, typisch für die Republikaner unter Trump, ein völlig traditionelles Frauen-, Männer- und Familienbild einher. "Dort vereinigen sich jetzt die Gruppen, die politisch wie religiös nach rechts streben." Insofern komme nun nicht das Ende der Religion," sondern die modern-säkularen Kulturen sind in ihrer Entwicklung erschöpft und kippen in ihr Gegenteil".
Laut Zulehner ist diese Neue Rechte vor allem auch "ein Protest gegen die Überanstrengung, die Unübersichtlichkeit einer durch Institutionen nicht mehr entlasteten Freiheit, die wir als Ideal vor uns hergetragen haben".
Salzburger Erzbischof im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" besorgt über zunehmende gesellschaftliche und politische Spaltung in Österreich - Lackner weist Kickl-Kritik an Haltung der Kirche während der Pandemie zurück
Wiener Theologe kritisiert Rede des FPÖ-Parteichefs: "Kein politischer Akteur, mag er sich auch 'Volkskanzler' oder gar 'Führer' nennen, ist ein Heilsbringer" - "Die Differenz zwischen Politik und Religion hält für alle Politiker - nicht nur für Herbert Kickl - die Lektion der Demut bereit"
Vorsitzender der Bischofskonferenz reagiert auf FPÖ-Chef: Glaube, Hoffnung und Liebe sind christliche Grundtugenden, die man nicht ins Korsett der Parteipolitik zwängen soll
Präsidentin der KA-Salzburg, Mayer, und Präsident der KA-Österreich Kaineder gegen politische Verzweckung biblischer Worte: "Das Schüren von Ängsten gehört ebenso wenig zur frohen Botschaft des Evangeliums wie das Überhöhen der eigenen Position und Ideologie über andere"