Theologin und Philosophin Claudia Paganini zu Glattauer-Interview: Zeitpunkt des Erscheinens erinnert "unangenehm an Logik von Reality-Formaten" - Gefahr, dass aus Sterben-Dürfen ein Sterben-Sollen wird
Wien, 05.09.2025 (KAP) Medienethikerin Claudia Paganini hat den medialen Umgang mit dem assistierten Suizid des Wiener Lehrers, Autors und Journalisten Niki Glattauer kritisch beurteilt: "Denn der Grat zwischen dem Respekt vor der Selbstbestimmung und dem Schutz Kranker und Sterbender vor einer Zweckrationalisierung des Sterbeprozesses ist schmal", so Paganini in einem Kommentar auf der Website der Wochenzeitung "Die Furche" (5. September). Zwei Tage vor seinem Tod durch assistierten Suizid hatte Glattauer, unheilbar an Krebs erkrankt, in der Wochenzeitung "Falter" und im Digitalmedium "Newsflix" ein ausführliches Interview zu seiner Entscheidung gegeben.
Zeitpunkt und Form der Veröffentlichung seien laut beiden Redaktionen sein ausdrücklicher Wunsch gewesen. "Das mag sein, entbindet aber nicht von journalistischer Verantwortung", hielt die Theologin fest. Der Zeitpunkt des Erscheinens erinnere dennoch "unangenehm an die Logik von Reality-Formaten", die "allzu gut die voyeuristischen Bedürfnisse des Publikums befriedigt".
Zwar ermögliche das österreichische Gesetz unheilbar kranken Menschen einen "letzten Akt der Autonomie", doch berge dies die Gefahr, dass "aus dem Sterben-Dürfen ein Sterben-Sollen" werde. Gerade in einer Gesellschaft, die den Wert eines Menschen stark über Produktivität und Leistungsfähigkeit definiere, könne subtiler Druck entstehen, "anderen nicht zur Last zu fallen", warnte die Medienethikerin, die an der Universität Innsbruck lehrt.
Kritik äußerte Paganini zudem daran, dass im Interview das Palliativ- und Hospizwesen pauschal als unzureichend dargestellt worden sei. "Zumindest eine solche Stimme ebenso zu Wort kommen zu lassen und damit der Gefahr der schiefen Ebene entgegenzuwirken, hätte man von gutem Journalismus durchaus erwartet können", hielt sie fest.
(S E R V I C E - Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr und gebührenfrei unter der Notrufnummer 142 erreichbar sowie unter www.telefonseelsorge.at. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums unter www.suizid-praevention.gv.at.)