Expertinnen warnen vor Vermittlung "toxischer Glaubensstrukturen" im Netz, betonen aber auch Potenzial digitaler Kommunikation zur Glaubensvermittlung - Pastoralinstitut-Direktorin Eder-Cakl: "Heute würde Paulus auf Instagram sein"
Wien, 05.09.2025 (KAP) Der digitale Raum birgt für die Kirche ein neues, ungeahntes Potenzial zur Verkündigung. Das beweist der bald im Kreis der Heiligen aufgenommene, als "Cyber-Apostel" und "Influencer Gottes" bekannte Carlo Acutis. Doch auch Hassprediger und Extremisten machen sich den digitalen Raum zunutze. Die Förderung von Glaubensvielfalt im Netz könne Einseitigkeit und Angstmache entgegenwirken, erklärte Gabriele Eder-Cakl, Direktorin des Österreichischen Pastoralinstituts (ÖPI), in den "Oberösterreichischen Nachrichten" (Freitag). Die Kirche müsse noch präsenter im Netz auftreten, um das Feld nicht jenen zu überlassen, "die digitale Räume für Radikalisierung, Hass und fundamentalistische Botschaften nutzen", forderte derweil die evangelische Pfarrerin Julia Schnizlein im aktuellen "Furche"-Interview.
Die Kirche habe dazugelernt, experimentierfreudiger und mutiger im Netz aufzutreten, sind sich die Expertinnen einig. Das Potenzial der digitalen Kommunikation zur Glaubensvermittlung nützen in Österreich etwa Stephanie Sandhofer (Kirchensteffie), die auf Instagram gemeinsame Gebetszeiten anbietet, der Franziskaner-Pater Manuel Sandesh (father_manuel_ofm), der seinen Alltag mit seinen Followern teilt, sowie Schnizlein selbst (Juliandthechurch). "Die Kirche hat sich nie vor neuen Medien verschlossen. Wo die Leute sind, sind auch wir mit der Seelsorge", sagte ÖPI-Direktorin Eder-Cakl im OÖN-Interview. Apostel Paulus habe Briefe geschrieben und am Hauptplatz Reden gehalten, um das Christentum nach Europa zu holen. "Heute würde Paulus auf Instagram sein", so die Theologin.
Kritisch stehen Schnizlein und Eder-Cakl jenen Influencerinnen und Influencern gegenüber, die Verbote aufstellen, Angst machen oder sogar Abhängigkeiten schaffen, etwa mit Geld. Behaupte jemand einseitig "Nur so darfst du leben", sei das nicht im Sinne des Christentums. "Unsere Stärke im Christentum sind die vielfältigen Formen, wie man den Glauben leben kann", so Eder-Cakl. Ein solches Netzwerk zu fördern, sei das Anliegen des Pastoralinstituts und wirke Einseitigkeit und Angstmache entgegen.
"Toxische Glaubensstrukturen hinterfragen"
Die evangelische Pfarrerin Schnizlein warnte im Furche-Interview vor den aktuell erfolgreichen evangelikalen Influencern, die Bibeltreue, Sünde, den Teufel und Dämonen zum Thema machen und zugleich sexuelle Reinheit und die Unterwürfigkeit von Frauen gegenüber Männern propagierten. "Sie transportieren ein patriarchales Frauenbild, das theologisch nicht haltbar und gesellschaftlich gefährlich ist", so Schnizleins Einschätzung. Dort vertretene Aussagen würden nicht nur feministischen Errungenschaften, sondern auch der befreienden Botschaft Jesu widersprechen.
7.000 Menschen folgen Schnizlein auf Instagram, wo sie ihren Alltag als Pfarrerin teilt. Ihr Ziel sei es, Tabus abzubauen und sichtbar zu machen, dass Glaube befreien und ermutigen könne, anstatt einzuengen, erklärte sie gegenüber der "Furche". "Mir ist es wichtig, toxische Glaubensstrukturen zu hinterfragen und Religion gegen Missbrauch und Radikalisierung zu verteidigen", so die Wiener Gemeindepfarrerin, die auch den Amtsauftrag mit dem Titel "digitale Kirche" vonseiten der evangelischen Kirche in Österreich hat.
Der Fokus auf digitale Verkündigung und digitale Präsenz müsse in Österreich noch stärker und strategischer werden, erklärte Schnizlein. "Menschen informieren sich, diskutieren, vernetzen sich online. Wenn die Kirche dort nicht präsent ist, wo Menschen sind, verliert sie Anschluss und wird schlicht unsichtbar." Positive Beispiele seien der digitale Maturasegen "be blessed", eine gemeinsame Aktion der katholischen und evangelischen Kirche sowie der Ordensgemeinschaften, oder das Social-Media-Projekt der katholischen Diözese Graz-Seckau "pov.jesus".
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