Ordensmann: Carlo Acutis ist Modell einer "Heiligkeit für alle"
04.09.202512:34
Italien/Österreich/Kirche/Glaube
Rektor der Grabeskirche des künftigen Heiligen, Gaballo: Italienischer Millennial macht Franz von Assisi durch seine gelebte Normalität nachahmbar - Jesuit Rutishauser: Acutis kein Antisemit
Rom/Klagenfurt/Wien, 04.09.2025 (KAP) Dass es mit Carlo Acutis (1991-2006) ab Sonntag den ersten heiligen Millennial - also einen Menschen, der bereits im 21. Jahrhundert gelebt und gewirkt hat - gibt, ist nach der Ansicht des Rektors der Kirche, in dem sich der Sarkophag des italienischen Jugendlichen befindet, ein deutliches Zeichen für Heiligkeit mitten im Alltag. "Carlo sagt uns, dass der Heilige in Wirklichkeit neben uns lebt, ins Internet geht, mit dem Computer spielt und mit Freunden lacht", so der Franziskaner P. Marco Gaballo im Interview mit der italienischen Nachrichtenagentur SIR (Donnerstag).
Gaballos Kirche in Assisi, die Basilika Santa Maria Maggiore - auch bekannt als "Santuario della Spogliazione" -, ist zu einem neuen spirituellen Zentrum geworden, seit der "Cyber-Apostel" Acutis dort ruht: Pilger suchten hier Stille, Gebet oder geistliche Begleitung, und viele berichteten von "Zeugnissen einer Lebensveränderung", die sie Carlo zuschreiben, auch wenn sie nicht immer als Wunder im strengen Sinn gelten, berichtete der Franziskaner. Als ein Beispiel dafür nannte der Ordensmann ein Ehepaar, das nach 17 Jahren Kinderlosigkeit nach einer Novene zu Carlo ein Kind erwartete.
Besonders ziehe Carlo Acutis jedoch Jugendliche an, weil er dieselben Vorlieben hatte wie sie - Sport, Computer, Freundschaften - und dennoch "Jesus als die einzige Liebe seines Herzens" gesehen habe, was auch Papst Franziskus so beeindruckt und zu dem ungewöhnlich schnellen Prozess der Selig- und Heiligsprechung geführt habe. Bemerkenswert ist für den Rektor auch, dass sich die jungen Besucher am Grab des baldigen Heiligen ausnehmend rücksichtsvoll verhielten: Alle achteten sie etwa auf Sauberkeit in der Kirche, keiner komme mit dem Handy herein - "das sind alles wichtige Zeichen".
Gaballo verwies auch auf die Parallelen zu Franz von Assisi, den Carlo zu Lebzeiten als Vorbild nahm und in dessen Stadt er auch bestattet werden wollte. Die beiden in Verbindung zu bringen, "funktioniert sehr gut": Der Heilige Franziskus werde zwar von allen geliebt, könne jedoch nicht nachgeahmt werden, während Carlos Beispiel aufzeige, dass die Heiligkeit auch in den kleinen Gesten möglich sei. Er mache durch seine gelebte Normalität deutlich, "dass Heiligkeit nicht nur etwas für Mönche oder Asketen ist, sondern für alle".
Vorbild für Mediennutzung
Auch in Österreich sind mittlerweile Pilgerorte mit Bezug zu Carlo Acutis entstanden - so etwa die Stadtpfarrkirche von Wolfsberg in Kärnten, wo ein künstlerisch gestaltetes Reliquiar des künftigen Heiligen errichtet wurde, das kommende Wochenende ganz im Zeichen der Heiligsprechung steht. Stadtpfarrer Christoph Kranicki nannte in einem Interview mit Radio Maria (Mittwoch) Acutis ebenfalls ein Vorbild für heute - und verwies dabei besonders auf dessen reifen Umgang mit Medien, der ihn zu einer "Antwort Gottes für unsere Zeit" mit ihrem "digitalen Stress" und ihrer Konsummentalität mache - und ihm unter anderem den Beinamen "Cyber-Apostel" eintrug.
Seinem Umfeld zufolge liebte Acutis das Videospielen, gab sich selbst jedoch ein strenges Zeitlimit dafür: nur eine Stunde pro Woche. Zugleich nutzte er seine außergewöhnlichen Computerkenntnisse, um mit ganzem Einsatz Layouts und Webseiten etwa für seine Pfarre oder zur Vermittlung des Wesens der Eucharistie zu erstellen. Dies mache ihn laut Kranicki zu einer "prophetischen Gestalt" für die Gegenwart: "Er verkörpert die Überzeugung, dass wahre Freiheit nicht im unbegrenzten Zugriff auf digitale Möglichkeiten liegt, sondern in der Fähigkeit, sie in Maß, Klarheit und geistiger Ausrichtung zu gebrauchen."
Auch Carlos starkes karitatives Engagement war Thema in Kranickis Ausführungen. Für Acutis sei die "Anbetung Jesu in der Monstranz" gleichwertig gewesen mit der "Anbetung Jesu in Armen und Obdachlosen". Acutis habe erkannt, dass christlicher Glaube keine "Frömmigkeit in einem goldenen Schrein" sein dürfe, sondern im Alltag gelebt werden müsse und seinen Höhepunkt in der Hingabe finde. Der neue Heilige habe "sein Herz geöffnet für Arme", indem er Obdachlose und Notleidende unterstützt und sein Taschengeld an Suppenküchen gespendet habe.
Kein Antisemit, aber Reflexion nötig
Auf eine weitere, im deutschen Sprachraum diskutierte Facette der Heiligsprechung ging dieser Tage der deutsche Jesuit Christian Rutishauser ein, nämlich die von Acutis dokumentierten eucharistischen Wunder. Manche dieser Hostienwunder hätten zu Gewalt bis hin zu Pogromen gegen des Hostienfrevels beschuldigte Juden, Protestanten oder "Hexen" geführt, schrieb der Ordensmann auf dem Portal feinschwarz.net. Dabei gelte jedoch: Direkt antijudaistisch oder antisemitisch sei Carlos Auflistung sicher nicht, vielmehr sei sich der 15-jährig Verstorbene dieser Zusammenhänge wohl nicht voll bewusst gewesen, zumal er sie ausgespart und Juden nicht erwähnt habe; auch speise sich der Antisemitismus heute nicht aus seiner Frömmigkeit.
Dennoch rief Rutishauser dazu auf, nicht unreflektiert oder unkritisch mit dem geschichtlichen Hintergrund umzugehen. Aufgabe der Kirche sei es, bei der Erwähnung dieser Wunder die Gläubigen aufzuklären und ihnen den historischen Kontext bewusst zu machen, damit es keinen "latenten Antijudaismus" gebe, der das Denken und Handeln unbewusst präge. Zudem sollten Dialogverantwortliche der Kirche aktiv auf jüdische Partner zugehen, so der selbst als Berater des Papstes für die religiösen Beziehungen zum Judentum tätige Experte.
Für die katholische Kirche ist die regelmäßige Proklamation neuer Glaubensvorbilder wichtig. Mit der Heiligsprechung zweier Italiener wendet sie sich aktuell an eine jüngere Zielgruppe - mit unterschiedlichen Schwerpunkten - Korrespondentenbericht von Severina Bartonitschek