Salzburger Theologe und USA-Kenner Andreas Weiß : Leo XIV. steht für "konkrete Kritik an kapitalistischer Entgrenzung" und eine klare "Option für die Armen"
Wien, 16.07.2025 (KAP) Mit Leo XIV. steht seit wenigen Wochen ein Papst an der Spitze der katholischen Kirche, der durch leise Töne große Wirkung entfaltet. Zu dieser Einschätzung kommt der Salzburger Theologe und USA-Kenner Andreas Weiß in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Quart (2/2025). Der US-Amerikaner Kardinal Robert Francis Prevost sei vom Konklave am 8. Mai zur Überraschung vieler und entgegen der Hoffnung des US-Präsidenten Donald Trump - der Kardinal Timothy Dolan favorisiert hatte - zum Nachfolger von Franziskus gewählt worden. Der neue Papst gilt laut Weiß als geistig geprägt vom Augustinerorden und stehe sowohl theologisch, pastoral als auch gesellschaftlich für globale Solidarität, gegen militärische Gewalt und politische Instrumentalisierung des Glaubens.
In Anspielung auf Leo XIII. und dessen Sozialenzyklika Rerum Novarum (1891) verortet sich der neue Papst mit seiner Namenswahl in der Tradition einer Kirche als "Anwältin der Menschen aller sozialen Schichten", wie der Direktor des Katholischen Bildungswerkes Salzburg ausführt.
Leo XIV. steht laut Weiß für eine "konkrete Kritik an kapitalistischer Entgrenzung" und eine klare "Option für die Armen". Seine Wahl sei daher nicht nur spirituell bedeutsam, sondern auch als politisch-kulturelle Weichenstellung zu verstehen - gerade auch mit Blick auf die USA. "Für Donald Trump jedenfalls manifestiert Leo XIV. ein Problem", schreibt der Theologe wörtlich.
Der jüngst gewählte Papst lasse sich nicht vereinnahmen und biete keine Bühne für Angriffe: "Papst Leo XIV. ist präsent - aber nicht da, wo Trump ihn gerne hätte. Er ist amerikanisch - aber nicht nationalpatriotisch. Er ist gläubig - aber nicht gehorsam. Er ist eine Stimme - aber kein Lautsprecher. Er ist ein Widerpart, aber kein medialer Angriffsspieler. Und genau deshalb ist er für Trump und jegliche Art extremistischer-populistischer Politik so unangenehm", lautet das Fazit von Weiß, der sich in mehrjährigen Studien-, Forschungs- und Lehraufenthalten in den Vereinigten Staaten mit dem Verhältnis von Religion, Politik und Gesellschaft unter anderem in seinem Buch "Trump. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben" (Patmos 2019) beschäftigt hat.
Trump hatte zwar den konservativen New Yorker Erzbischof Timothy Dolan favorisiert, doch das Konklave wählte Kardinal Robert Francis Prevost, was in den USA für "emotionale Stimmungsschwankungen gesorgt hat", so Weiß. Während liberale Stimmen Leo XIV. als "Franziskus mit US-Pass" gefeiert hätten, seien aus rechtskonservativen Kreisen scharfe Reaktionen gekommen. Der österreichische Theologe nennt etwa auf die rechtsextreme Kommentatorin Laura Loomer, die Leo XIV. als "marxistische Marionette" bezeichnete, Fox News sprach von einer "globalistischen Agenda", und Trump Jr. warf ihm "Verrat an der amerikanischen Sache" vor. Diese Eskalation sei bezeichnend, so Weiß: Wo kein klares Feindbild greifbar sei, greife populistische Rhetorik zu schrillen Zuschreibungen.
Vom Papst selbst sei bis dato dazu keine Reaktion gekommen. Weiß begründet dies mit dem Stil des US-Amerikaners, den er als leise, zurückhaltend, schlicht - in der Liturgie wie in der Kommunikation - beschreibt. "Der neue Papst stört nicht durch Polemik, sondern durch seine Agenda. Und genau das macht ihn gefährlich, zumindest aus Sicht eines machtstrategisch orientierten Regierungslagers", analysiert Weiß.
Leo XIV. werde "keine Systeme stürzen, aber Sichtweisen irritieren. Und das ist - in Zeiten populistischer Polarisierung - womöglich der effektivste Beitrag, den ein Papst leisten kann", prognostiziert Weiß. Die Wirkung des Papstes ist nach der Einschätzung des Theologen "nicht disruptiv, sondern tiefenstabil". Für Donald Trump sei Leo XIV. damit einer, der sich nicht vereinnahmen lasse und sich damit jeder Inszenierung entziehe.
Kontinuität, kein Bruch
Auch innerkirchlich sei die Wahl Leos XIV. kein Bruch, sondern präzise Kontinuität. Der neue ,,Stellvertreter Christi" knüpfe an Franziskus an, setze aber andere Akzente. Wo Franziskus die "Peripherie" in den Blick nahm, suche Leo das "Zentrum" - jedoch nicht als Ort der Macht, sondern als Raum der Verantwortung. Seine Biografie - Chicago, Chiclayo, Rom - mache ihn zu einem Papst mit interkulturellem Gespür.
Der neue Papstvermittle zwischen den Kulturen: "Seine Identität stammt von Orten, die ihn geprägt haben. Seine Autorität gründet auf pastoraler Erfahrung, diplomatischem Gespür und kultur- sowie grenzüberschreitende Weitsichtigkeit."
Seine spirituelle Prägung durch den Augustinerorden weise auf eine Theologie hin, die existenziell argumentiert: orientiert am einzelnen Menschen, an Würde, Schuld und Hoffnung - weniger an komplexen Dogmen.