Als die Kirche in Palästina noch Zukunft hatte - KNA-Korrespondentenbericht von Burkhard Jürgens
Freiburg, 12.07.2025 (KAP) Georg Röwekamp hat ein historisches Buch geschrieben - und ein aktuelles zugleich: über die Christen in der Region Gaza. Es schlägt einen Bogen über viele Jahrhunderte; sein Hintergrund sind die Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023, der Krieg und die Folgen für die christliche Minderheit. Geschichten von Gewalt stehen am Anfang von Gaza. Dazu zählen die Episoden um den alttestamentlichen Helden Simson. Als eine Art biblischer Herkules legt er sich leidenschaftlich gern mit den Bewohnern der Küstenebene an. Von seinem Ende wird erzählt, dass er das Haus in Gaza, in dem die Fürsten der Philister versammelt waren, zum Einsturz brachte und so sich selbst mit den Feinden unter den Trümmern begrub.
Die "Simson-Option" der kalkulierten Selbstvernichtung ist bis heute Teil der israelischen Militärdoktrin. Den Theologen Röwekamp beschäftigt die Frage, ob der Kreislauf von Verletzung und Gewalt sich je durchbrechen lässt. Als Fachmann für Palästina-Kunde und frühe Kirchengeschichte beschreibt er den weiteren Rahmen, in dem solche Kreisläufe gedeihen. Auch eine simple historische Feststellung kann dabei politische Empfindlichkeiten treffen. Dass Gaza eigentlich nie zum israelitischen Herrschaftsbereich gehörte und die anderslautende biblische Behauptung wohl Fiktion ist, ist so eine Aussage.
Wenn es um Christen in Gaza heute geht, darf der Hergang zur jetzigen Lage nicht fehlen. Röwekamp, mehrere Jahre Repräsentant des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande in Jerusalem und schon lange zuvor mit dem Nahen Osten vertraut, zeichnet Mandatszeit, Besatzung, vorübergehende Autonomie und die Entstehung des aktuellen Konflikts nach. Vor allem aber skizziert er knapp und dicht die Religions- und und Kirchengeschichte seit den Ursprüngen. Er lässt erahnen, wie kulturell reich und bedeutend dieser Küstenstreifen ist.
Einer der Anfänge des Mönchtums liegt hier. In Deir al-Balah, auf halbem Weg zwischen Gaza und Chan Yunis, begründete Mönchsvater Hilarion die erste Klostersiedlung im Heiligen Land. Und unter den Beschlüssen des Konzils von Nizäa, das im Jahr 325 den bis heute gültigen Grundstock der christlichen Glaubenslehre festlegte, findet sich die Unterschrift eines Bischofs von Gaza.
Während Beirut für seine herausragende Juristenausbildung bekannt war, rühmte man die Rhetorikschulen von Gaza: Als "Werkstatt der Beredsamkeit" galt Gaza und als "Stadt, die die Musen liebt". Nicht zufällig verfasste hier der christliche Gelehrte Choricius im 6. Jahrhundert eine Verteidigung des Schauspielerberufs - der wegen seiner Verbindung zu heidnischen Themen von der Kirche scheel beäugt wurde. Ein kreatives, kulturell buntes, liberales Pflaster muss Gaza gewesen sein.
Eine "prächtige und schöne Stadt" fand ein Pilger aus dem italienischen Piacenza hier um 570 vor. Zeugnis davon gaben bis vor kurzem das Hilarion-Kloster mit seinen Mosaiken, der ebenfalls bilderreiche Kirchenkomplex in Jabalia und die Synagoge der Hafenstadt Maiuma. Eines ihrer Bildwerke zeigt König David in Gestalt des Orpheus, der musizierend Tiere um sich schart. Was von diesen Schätzen nach dem Krieg übrig sein wird - niemand weiß es.
Im Mai 637 begann für Gaza die islamische Ära mit der Belagerung durch Amr ibn al-As. Die christlichen Soldaten in der Garnison am Endpunkt der Handelsstraße durch die arabische Wüste, die der Eroberung Widerstand leisteten, wurden die ersten Märtyrer im Kampf zwischen Christen und Muslimen. Pilger aus dem Abendland kamen nun seltener, aber dennoch - nach 724 etwa der junge Willibald, später der erste Bischof von Eichstätt.
Und weiter lebte die örtliche Kirche und trug Frucht: Um 1000 schrieb Sulaiman ibn Hasan al-Ghazzi christlich-theologische Werke auf Arabisch und schuf ein reiches poetisches Werk. Eineinhalb Jahrhunderte später gaben andere Christen den Ton an: Gaza wurde Bastion der Kreuzfahrer gegen die Fatimiden in Aschkelon. Bauliche Spuren erhielten sich in heutigen Moscheen in Gaza und Deir al-Balah.
Weiterhin blieb Gaza eine Station für Pilger auf dem Weg zum Sinai, und Ende des 16. Jahrhunderts weisen osmanische Steuerlisten noch immer einen stattlichen Anteil christlicher Haushalte aus. 300 Jahre später, 1886, schreibt der deutsch-amerikanische Templer Gottlieb Schumacher von 200 Christen unter 20.000 Einwohnern. Die Konfessionen betreiben jetzt soziale Missionen, organisieren Schulunterricht und medizinische Versorgung.
In einer solchen Mission gründet die heutige katholische Pfarrei Gazas. Der Tiroler Priester Georg Gatt (1843-1924) erwarb 1880 ein Grundstück für ein Pfarrzentrum und mühte sich in Seelsorge, Spendenakquise, Projektmanagement. Ein undankbarer Job. 1902 bilanzierte Gatt bitter: "Das Volk, welches dieses Land bewohnt, ist dieser Gabe nicht wert."
Seit 7. Oktober 2023 ist die Lage der christlichen Gemeinden noch prekärer. "Ob und in welcher Form diese nach dem Krieg eine Zukunft haben werden, scheint ungewisser denn je", schreibt Röwekamp. Als vorsichtigen Ausdruck der Hoffnung zitiert er ein Wort des Lateinischen Patriarchen Pierbattista Pizzaballa, jene Christen, die blieben, seien "das Licht unserer Kirche in der ganzen Welt". Der katholische Pfarrer von Gaza gab ihre Zahl zuletzt mit 670 an.