Franziskus als verhinderter Brückenbauer für den Frieden
21.04.202512:11
Vatikan/Papst/Diplomatie/Welt/Frieden
In seinen frühen Amtsjahren schien der Friedensnobelpreis für den Papst fast eine logische Konsequenz. Je länger Franziskus regierte, desto unwahrscheinlicher wurde die Auszeichnung - schlimmer: desto kriegerischer wurde die Welt - Von Alexander Brüggemann
Bonn/Rom, 21.04.2025 (KAP/KNA) In seinen zwölf Amtsjahren hat sich Papst Franziskus durch aufsehenerregende Initiativen in der ganzen Welt den Ruf eines unermüdlichen Anwalts für Frieden erworben. Immer wieder gehörte er deshalb über die Jahre zum engeren Favoritenkreis für den Friedensnobelpreis. Zuletzt freilich war dieses Szenario für den 88-Jährigen unwahrscheinlich geworden. Was aber viel wichtiger ist: Die Zahl und Intensität der Kriege auf der Welt nahm weiter zu.
Als ein "Friedenspapst" wurde der Argentinier in der "Washington Post" schon 2013 gefeiert. Sein größter Erfolg als Vermittler war wohl die historische Annäherung zwischen den USA und Kuba Ende 2014. Nach übereinstimmender Darstellung beider Seiten hatte Franziskus mit seinem Initiativ-Brief an die damaligen Präsidenten Barack Obama und Raul Castro maßgeblichen Anteil am Erfolg der Verhandlungen.
Unter Franziskus hat der Vatikan als Akteur auf der weltpolitischen Bühne wieder erheblich an Bedeutung gewonnen. Der Vatikan will nach den Worten seines Chefdiplomaten, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, nicht mehr nur als moralische Autorität wirken, sondern auch als Vermittler in Konflikten.
Friedensgebet für Syrien
Respekt bei Muslimen verschaffte sich Franziskus durch seine entschiedene Ablehnung von Militärschlägen gegen Diktator Baschar al-Assad im Syrien-Konflikt. Seinem Aufruf zum Friedensgebet für Syrien folgten im September 2013 nicht nur Millionen Katholiken, sondern auch Muslime und Angehörige anderer christlicher Konfessionen zwischen Bagdad, Manila und Rom. 2019 unterzeichnete Franziskus mit dem Scheich der Kairoer Al-Azhar-Universität eine interreligiöse Erklärung. Das "Dokument über menschliche Brüderlichkeit" enthält - vor allem für islamische Staaten - bemerkenswerte Aussagen zu Toleranz und Menschenrechten.
Auch die Einladung für Israels Staatspräsident Schimon Peres und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zu einem Friedensgebet im Juni 2014 war ohne Vorbild. Muslime, Juden und Christen beteten im Vatikan für Frieden im Nahen Osten; getrennt zwar, aber nebeneinander. Die Symbolkraft freilich verpuffte; kurz darauf brachen erneut Kämpfe im Gazastreifen aus.
Lampedusa als Sinnbild
Auch mit seinen Reisen setzte Franziskus immer wieder Friedenszeichen. Die erste überhaupt nach seinem Amtsantritt ging nach Lampedusa, jene Mittelmeerinsel, die zum Sinnbild für das Flüchtlingselend an den Toren Europas wurde. 2016 besuchte er auf der griechischen Insel Lesbos ein Aufnahmelager für Flüchtlinge.
In Südkorea setzte sich der Papst für eine Versöhnung des geteilten Landes ein; in Sri Lanka für den Dialog zwischen der tamilischen Minderheit und der singalesischen Bevölkerungsmehrheit; in der vom Bürgerkrieg gezeichneten Zentralafrikanischen Republik für den Dialog zwischen Christentum und Islam. 2016 in Georgien und Aserbaidschan, später für Aserbaidschan und Armenien mahnte er eine friedliche Beilegung der Konflikte im Kaukasus an.
Frieden war für Franziskus immer auch "sozialer Frieden". Sein Eintreten für Flüchtlinge und seine Kapitalismuskritik waren untrennbar mit dem Einsatz für Frieden verbunden. Es "wäre ein falscher Friede, wenn er als Vorwand diente, um eine Gesellschaftsstruktur zu rechtfertigen, die die Armen zum Schweigen bringt oder ruhigstellt", hieß es in seinem programmatischen Schreiben "Evangelii gaudium" (2013).
Umweltschutz als Frieden
Eine weitere Komponente von Frieden ist der Umweltschutz - oder Frieden mit der Natur. Sie stand weit oben auf der Agenda der Amazonien-Synode 2019 im Vatikan. Menschheitsprobleme wie Klimawandel und Wassernot benannte Franziskus am eindrücklichsten in seiner Umwelt- und Sozialenzyklika "Laudato si" von 2015. Es sei dringend "Zeit für prophetische Handlungen".
Bei allem Einsatz für Frieden: Ein unbedingter Pazifist, der die Anwendung von Gewalt aus humanitären Gründen in Extremsituationen ausnahmslos ablehnt, war Franziskus nicht. Mit Blick auf das Vorgehen der Terrormiliz "Islamischer Staat" schloss er ein militärisches Eingreifen nicht ausdrücklich aus. Wörtlich sagte er 2014: "Wenn es eine nicht gerechtfertigte Aggression gibt, kann ich nur sagen, dass es legitim ist, den ungerechten Angreifer zu stoppen." Bombardierungen und Krieg seien aber keine Option. Was allerdings dann?
Mit dem Konstrukt eines "gerechten Krieges" konnte Franziskus wenig anfangen. Ende 2017, als er Teilnehmer einer internationalen Konferenz zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag empfing, nannte er auch den Besitz von Atomwaffen unmoralisch - schon wegen ihrer möglichen katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt. Das trug ihm Proteste ein, auch von Katholiken.
Vor seiner Japan-Reise 2019 sollen Vertreter von Atommächten mehrfach versucht haben, eine Aufweichung seiner Positionen zu erreichen. Doch die Ansprachen des Papstes in Nagasaki und Hiroshima, den Orten der US-Atombombenabwürfe von 1945 fielen ungebremst aus: "Der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken heute (ist) mehr denn je ein Verbrechen."
"Erosion des Multilateralismus"
Franziskus äußerte sich besorgt über eine "Erosion des Multilateralismus". Die Menschheit müsse in Pflugscharen statt in Schwerter investieren, auch um der UN-Nachhaltigkeitsziele 2030 willen. Rüstungsausgaben seien eine himmelschreiende Vergeudung angesichts weltweiter Armut und Klimaprobleme.
Nach dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine 2022 fand freilich auch der "Friedenspapst" keinen echten Zugang. Ja - der Vatikan suchte Gesprächskanäle; er suchte sie auch sehr lange; aber ohne wirklich wahrnehmbare Erfolge. Auch im Krieg zwischen der Hamas im Gazastreifen und Israel seit Oktober 2023 wurde Franziskus wiederholt vorgeworfen, aus falsch verstandener Neutralität nicht zwischen Angreifern und Angegriffenen zu unterscheiden.
Harsche Kritik kam etwa vom Kirchenhistoriker Hubert Wolf. Er beklagte, mit fehlender diplomatischer Klugheit und einem unreflektierten Pazifismus habe sich Franziskus sowohl in der Ukraine als auch in Israel die Möglichkeit verbaut, ein Makler des Friedens zu sein.
Insofern reihte sich der nun verstorbene Franziskus ein in eine Reihe von "Friedenspäpsten" wie Benedikt XV. (1914-1922), Pius XII. (1939-1958) oder Johannes XXIII. (1958-1963): Im tiefen Krieg hat es die Rede vom Frieden schwer - und die Erfolge müssen am Ende Historiker messen.