Wiederentdeckte Tradition: Heilige Gräber in der Karwoche
16.04.202511:10
Österreich/Kirche/Brauchtum/Kultur/Religion/Ostern/Religionsfest oder Feiertag/Religionsritual
Einst prachtvolle Kulissen der Passionsfrömmigkeit, dann fast vergessen, werden Heilige Gräber wieder Teil der Kirchengestaltung zur Osterzeit - Historiker: Zusammenspiel aus Kunst, Theologie und Frömmigkeit
Wien, 16.04.2025 (KAP) Ein jahrhundertealter Brauch, der seit Mitte des 20. Jahrhunderts aus der Mode gekommen ist, doch in den letzten Jahren wiederentdeckt wird, ist das "Heilige Grab" in der Karwoche: In vielen katholischen Gotteshäusern wird am Karfreitag ein Grab errichtet, mit einer Figur des Leichnams Jesu, in Erinnerung an die Grablegung Christi nach der Kreuzigung bis zur Auferstehung in der Osternacht. Die Kunst- und Glaubenspraxis sowie deren Ursprünge und Gegenwart faszinieren auch Wissenschaftler wie Matthias J. Pernerstorfer, macht diese Tradition doch die Passion Christi "nicht nur gedanklich, sondern auch sinnlich erfahrbar", so der Direktor des theater- und kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums "Don Juan Archiv Wien" im Interview mit Kathpress.
Dargestellt wird dabei jenes Grab in Jerusalem, in das Jesus nach seinem Tod am Kreuz gelegt wurde. Den Evangelien zufolge handelte es sich um ein zuvor unbenutztes Grab des Josef von Arimathäa, wohl um eine in einen Felsen gehauene Höhle. Der Leichnam wurde in Leinen gewickelt auf eine Felsbank gelegt, die Höhle mit einem großen Stein verschlossen. War an der vermuteten Stelle des Grabes Jesu zwischenzeitlich ein römischer Tempel errichtet, wurde das Grab unter Kaiser Konstantin Anfang des 4. Jahrhunderts freigelegt und eine Kapelle - die erst kürzlich restaurierte Ädikula in der Grabeskirche - errichtet, die ihre heutige Gestalt nach Zerstörungen und Wiederaufbauten 1809 erhielt.
Anbetung und Theater
Zahlreiche Heilig-Grab-Kapellen, möglichst detailgetreue Nachbauten ebendieser Ädikula, entstanden in Mitteleuropa im 17. und 18. Jahrhundert. Die in den Kirchen errichteten Heiligen Gräber, in welchen auch das Allerheiligste zur eucharistischen Anbetung ausgesetzt wurde, entwickelten sich zu einer immer kunstvolleren Darstellung, die teils theatralische Elemente aufnahm und im Barock vielerorts auch Illusionsmalerei, Scheinkuppeln, Architekturkulissen und allegorische Figuren erhielt. Neben Kulissengräbern gab es auch skulpturale Varianten, etwa in Retz, Altenburg oder St. Pölten, die für eine eher kontemplative Frömmigkeit standen statt auf theatralische Wirkung abzuzielen.
Als besondere Kunstform entstanden im Barock, ausgehend vom Wiener Kaiserhof, zudem die sogenannten "Sepolcri": Vor den Heiligen Gräbern aufgeführte Karfreitagsoratorien, die mancherorts halb-szenisch dargeboten wurden und bis in die frühen 1780er-Jahre auch in Adelssitzen, Klöstern und Pfarrkirchen beliebt waren.
Eine starke Einschränkung der barocken Passionsfrömmigkeit brachten die Reformen unter Joseph II. Nach dem Besuch von Papst Pius VI. in Wien 1782 wurden Heilige Gräber nur noch stark reduziert erlaubt und verschwanden großteils, ebenso wie die szenischen Aufführungen. Nur einige bedeutende Gräber blieben erhalten. Für Mödring bei Horn konnte Pernerstorfer in einer ausführlichen Studie aufzeigen, dass das dortige Heilige Grab um 1770 Kulissenelemente der Horner Piaristenschule übernahm, darunter auch Herkulesfiguren.
Renaissance seit 2000
Auch die weitere Geschichte der Heiligen Gräber war ein Auf und Ab: Nachdem die barocke Manier weitgehend verschwunden war, baute man im 19. Jahrhundert in vielen Pfarrkirchen Grabnischen im Sockel von Seitenaltären ein, deren Blende in der Karwoche entfernt wurde. Erst kurz vor 1900 wurden wieder aufwändigere, nun neobarocke oder neoklassische Gräber sowie Ädikula-Nachbildungen der Grabeskirche populär. Im 20. Jahrhundert drängten die Liturgische Bewegung und das Konzil die Passionsfrömmigkeit erneut zurück, ehe es in jüngerer Vergangenheit wieder zur Renaissance kam.
"Seit etwa dem Jahr 2000 ist das Bewusstsein gewachsen, dass es sich bei den barocken Gräbern um etwas Besonderes handelt, zumindest in Einzelfällen. Da wird dann auch Geld für Restaurierungen locker gemacht", berichtete Pernerstorfer. Etliche Heilige Gräber in Österreich wurden restauriert und sind teils schon in der gesamten Fastenzeit Zielort von Gläubigen, Pilgern und Touristen, darunter etwa in Garsten, Stift Zwettl, Dürnstein oder Straning, während in Großweikersdorf und Sonntagberg die Restaurierung derzeit noch in Gang ist. Auch Mariabrunn, die Wiener Michaelerkirche, Stift Altenburg, Retz oder der St. Pöltner Dom weisen besonders schöne Grablegungsszenen auf - teils mit Skulpturen, Landschaften oder in eigens errichteten Kapellen.
Vielfältige Formen
Heute sind Heilige Gräber an den Kartagen in Österreich und Süddeutschland wieder fast überall gebräuchlich, mit sehr unterschiedlicher Gestaltung. "Manchmal wird nur ein leerer Sarg aufgestellt, anderswo das Allerheiligste ausgesetzt. Die Formen sind vielfältig, und jede Pfarre ist sehr kreativ", so Pernerstorfer.
Der Theaterhistoriker hat in seiner eigenen Wohnpfarre Wien-Essling 2019 die Tradition wiedereingeführt, mit einem schlichten, funktional gehaltenen Grab im Altarraum mit einem Christuskorpus, Blumen, Leuchtern, violetten und schwarzen Tüchern, Sitzgelegenheiten, Betschemel, Kerzen und Weihrauch - sowie der Monstranz mit dem Allerheiligsten, das ständige Anwesenheit erfordert. Die Beteiligung sei gut, sagte Pernerstorfer: "Selbst die Nachtstunden auf Karsamstag sind jetzt schon ausgebucht. Vielen gefällt das Erleben der Stille in der Kirche."
Ostern als die Feier der Auferstehung Christi ist das wichtigste Fest der Christenheit - Datum in der katholischen, evangelischen und orthodoxen Kirche heuer am 20. April.