Missbrauchsopfer in Belgien schrieben Brief an Papst Franziskus
16.09.202412:49
Belgien/Papst/Kirche/Missbrauch
Betroffene erwarten deutliche Botschaft des Papstes zu Missbrauch in der Kirche - Franziskus wird 15 Betroffene sexuellen Missbrauchs treffen - Bischof: Wichtig, dass der Papst zuhört
Brüssel, 16.09.2024 (KAP) Vor seinem Besuch in Belgien haben mehrere Opfer von sexuellem Missbrauch einen Brief an Papst Franziskus geschrieben. Die Unterzeichner fordern das Oberhaupt der katholischen Kirche auf, "den Schmerz der Überlebenden zu berücksichtigen", berichteten mehrere belgische Medien. Während des Papstbesuchs ist eine Privataudienz mit Opfern sexuellen Missbrauchs innerhalb der Kirche geplant, wie die Belgische Bischofskonferenz bestätigt hat. Der genaue Zeitpunkt des Treffens mit 15 Frauen und Männern wird den Angaben vorab nicht bekannt gegeben, um eine Begegnung "in aller Diskretion" zu ermöglichen. Erst im Anschluss sollen Details veröffentlicht werden. Franziskus wird am 26. September Luxemburg besuchen. Anschließend ist er bis zum 29. September in Belgien.
In einem von der Zeitung "Le Soir" veröffentlichten Video - sie hatte auch den Brief veröffentlicht - sagte Jean-Marc Turine (78), er erwarte eine deutliche Botschaft des Papstes zu Missbrauch in der Kirche. Turine ist einer der Unterzeichner und bezeichnet sich als "Überlebender". Vor zwei Jahren hatte Turine ein Buch veröffentlicht, in dem er beschreibt, wie er in den 1960er Jahren als Student am Saint-Michel-College in Etterbeek missbraucht wurde. Im Video forderte Turine, Missbrauch überall auf der Welt als Verbrechen zu ahnden. Auch stellte er die verpflichtende Ehelosigkeit von römisch-katholischen Priestern in Frage. Ohne Zölibat und mit mehr Entscheidungsfreiheiten für Priester wären einige Verbrechen möglicherweise nicht begangen worden.
Aufruf an Betroffene
Laut Meldung des katholischen Online-Portals "CathoBel" äußerte der Papst im Zuge der Planungen für den Belgien-Besuch den Wunsch, auch dort mit Opfern von Missbrauch in der Kirche zusammenzutreffen. Auf einen Aufruf der Belgischen Bischofskonferenz hin meldeten sich mehr als 80 Missbrauchsbetroffene. Sie wurden zu einem Treffen Anfang September eingeladen, um gemeinsam die Botschaften und Erwartungen festzulegen, die dem Papst im Namen der gesamten Gruppe von 15 Vertreterinnen und Vertretern überbracht werden sollen.
Die 15 Männer und Frauen stammen laut offizieller Mitteilung aus allen Landesteilen und aus verschiedenen Opfergruppen. Alle werden die Möglichkeit haben, sich persönlich an den Papst zu wenden. Auf ausdrücklichen Wunsch mehrerer Opfer werde das Treffen in absoluter Diskretion stattfinden, teilte die Bischofskonferenz mit. Für alle anderen Betroffenen, die sich gemeldet haben, gab es die Möglichkeit, Franziskus einen Brief zu schreiben, der ihm persönlich übergeben werden soll.
Die Bischofskonferenz arbeitet derzeit an einem aktualisierten Aktionsplan im Kampf gegen Missbrauch in der Kirche, der im Herbst auf den Weg gebracht werden soll. Die Begegnung des Papstes mit den Missbrauchsbetroffenen sei ein wichtiges Zeichen, zusätzlich zu den Maßnahmen gegen Missbrauch in der Kirche, die bereits ergriffen wurden oder in Ausarbeitung sind, erklärte der Brüsseler Erzbischof Luc Terlinden. Er ist seit kurzem neuer Missbrauchsbeauftragter der Belgischen Bischofskonferenz. In der Vergangenheit habe es eine Kultur der Geheimhaltung und des Schweigens innerhalb der Kirche gegeben, die es Betroffenen zusätzlich schwer gemacht habe. "Wir ermutigen jedes Opfer nachdrücklich, sich zu melden."
Bischof: Wichtig, dass der Papst Betroffenen zuhört
Auch der Antwerpener Bischof Johan Bonny bestätigte zuletzt dem Internetportal "katholisch.de", dass es ein Treffen mit dem Papst und 15 Betroffenen sexuellen Missbrauchs geben werde. "Es ist wichtig, dass sie persönlich mit dem Papst sprechen können und dass er ihnen persönlich zuhört", so Bonny. Er wolle dem Papst aber auch sagen, was für eine große Last die Aufarbeitung der Missbrauchskrise für die heutigen Priester und Bischöfe sei. "Denn sie müssen Lasten tragen, die schon längst hätten aufgearbeitet werden müssen, auch durch ihre Vorgänger."
Bonny, der sich im Sommer als Missbrauchsbeauftragter der Belgischen Bischofskonferenz zurückgezogen hatte, zog nach 15 Jahren Aufarbeitung eine resignierte Bilanz. "Ich bin enttäuscht, weil Bischöfe vor mir zu wenig für Betroffene von sexuellem Missbrauch getan haben", sagte der Bischof von Antwerpen. "Sie haben das Problem nicht angefasst und sind nicht angemessen damit umgegangen. Wir bezahlen jetzt den Preis dafür, was Bischöfe und auch Päpste in den vergangenen Jahrzehnten nicht gut gemacht haben", so Bonny.
Er sei Priester geworden, um für das Reich Gottes zu arbeiten und den Menschen die Frohe Botschaft zu bringen. "Als ich ins Priesterseminar eingetreten bin, das war 1973, hatte ich keine Ahnung von dieser Lawine der Missbrauchskrise, die auf uns als Kirche und auf mich als Bischof zurollen würde", sagte der heutige Bischof. Nun habe die Kirche vielen, auch Mitarbeitenden, das Vertrauen in sie genommen. Auch junge Priester seien von den Vorgängen enorm belastet.
Die Kirche, die in Belgien keine Kirchenbeiträge einnimmt, benötige viel Geld für die Ausgleichszahlungen an Missbrauchsbetroffene. "Doch bis jetzt ist es gelungen, sie zu bezahlen." Bonny verwies auf die mit dem belgischen Parlament getroffene Regelung, die nach Kategorien und Schweregrad des Missbrauchs unterscheide. "Wenn der beschuldigte Täter zum Beispiel einer Ordensgemeinschaft angehört, dann kommt diese selbst für die Kosten auf. Wenn ein Diözesanpriester der Täter war, dann bezahlt die Diözese." Wenn der beschuldigte oder verurteilte Täter noch lebe, ersuche die Kirche ihn selbst, sich an den Kosten zu beteiligen.
Zahlreiche Skandale
Die Kirche in Belgien wurde über die Jahre mehrfach von Missbrauchsskandalen erschüttert. 2019 legte die Bischofskonferenz auch einen 400 Seiten umfassenden Bericht einer Interdiözesanen Schutzkommission zum Thema vor. Ab 2010 sorgte unter anderem der Fall des später vom Papst wegen erwiesenem sexuellen Missbrauchs aus dem Klerikerstand entlassenen Bischofs Roger Vangheluwe für Schlagzeilen.
(Diese Meldung ist Teil eines Themenpakets zur Reise von Papst Franziskus nach Luxemburg und Belgien. Alle Meldungen sind abrufbar unter www.kathpress.at/papst-in-belgien-luxemburg)