Prestigeträchtige Schau tritt mit Motto "Überall Fremde" gegen Rassismus und Ausgrenzung auf - Vatikan-Pavillon in Frauengefängnis - Hintergrundbericht von Sabine Kleyboldt
Venedig, 18.04.2024 (KAP/KNA) Die 60. Biennale in Venedig ist noch nicht einmal offiziell eröffnet, da wird sie schon von den Kriegen in Osteuropa und Nahost überschattet: Erneut will Russland seinen Länderpavillon bei der größten und ältesten Kunstausstellung der Welt nicht bespielen - genau wie Israel, wenngleich aus anderen Gründen. Russland zeigte der Biennale schon 2022, nach seinem Überfall auf die Ukraine, die kalte Schulter. Nun überlässt es sein Gebäude überraschend Bolivien. Dagegen entschied die israelische Künstlerin Ruth Patir, den Ausstellungspavillon erst dann zu öffnen, wenn es im Nahost-Krieg eine Einigung auf einen Waffenstillstand und die Befreiung der Geiseln gibt.
Doch was laut Patir als Protest für den Frieden gedacht war, provozierte wiederum Protest: Vor dem Pavillon versammelten sich pro-palästinensische Demonstranten, warfen Israel Völkermord und der Künstlerin billigen Opportunismus vor.
Es ist nicht das erste Mal, dass "La Biennale di Venezia" in ihren 129 Jahren Kontroversen erlebt. Dennoch hat sie sich seit 1895 zu einer der prestigeträchtigsten kulturellen Institutionen der Welt entwickelt. Die erste Schau sahen bereits rund 220.000 Besucher, bei der 59. Biennale 2022 waren es mehr als 800.000. Bald nach Gründung der Ausstellung wählte man den Zweijahresrhythmus ("Biennale"). Ab den 1930ern kamen die Sparten Musik, Kino und Theater, ab 1999 Tanz hinzu. 1980 hatte die erste Internationale Architektur-Biennale Premiere.
Fanal gegen Fremdenfeindlichkeit
In diesem Jahr werden voraussichtlich 88 Nationen die historischen Pavillons in den Giardini, Venedigs größtem öffentlichen Park, bespielen. Hinzu kommen Ausstellungen in der früheren Schiffswerft "Arsenale" und im Stadtzentrum. Die afrikanischen Länder Benin, Äthiopien, Tansania und das asiatische Ost-Timor werden erstmals dabei sein - und Bolivien im russischen Pavillon. Beobachter gehen davon aus, dass Russland damit um die großen Lithium-Vorkommen des südamerikanischen Gastes wirbt.
Die Geste würde sogar dazu passen, dass der künstlerische Direktor der 60. Biennale, der Brasilianer Adriano Pedrosa, den Fokus auf den Globalen Süden lenken will. Unter dem Motto "Stranieri Ovunque - Foreigners Everywhere" ("Überall Fremde") wird ein Fanal gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gesetzt, knapp übersetzt mit der schlichten Erkenntnis: "Alle Menschen sind Ausländer - fast überall". Dazu werden Werke von 332 Künstlern und Kollektiven gezeigt, die auf der Biennale und im europäischen Kunst- und Ausstellungsbetrieb bisher unterrepräsentiert sind. Das gilt auch für die Leitung der Biennale: Pedrosa ist der erste Kurator aus Lateinamerika und sogar der erste aus der südlichen Hemisphäre.
Das Motto "Stranieri Ovunque" geht auf eine seit 2004 laufende Werkserie des Kollektivs Claire Fontaine zurück: Neonskulpturen, die in mehr als 50 Sprachen die Worte "Foreigners Everywhere" zeigen. Den Begriff "Fremde" will Pedrosa auf jede Form von Ausgestoßenen, Marginalisierten bezogen wissen, ob aufgrund ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, ihrer sexuellen Identität oder persönlichen Scheiterns, so Pedrosa.
Vatikan-Pavillon in Frauengefängnis
Mit einem der ungewöhnlichsten Ausstellungsbeiträge interpretiert der Vatikan das Motto mit Blick auf Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind: Für die Präsentation des Kirchenstaats wählten der Leiter der vatikanischen Kulturbehörde, Kardinal Jose Tolentino de Mendonca, und sein Team das Frauengefängnis auf der Insel Giudecca. Durch die Ausstellung "Mit meinen Augen", kuratiert von Chiara Parisi und Bruno Racine, führen Inhaftierte. Zudem gibt es eine Premiere: Erstmals in der Geschichte der Biennale kommt ein Papst vorbei. Franziskus wird am 28. April in Venedig erwartet.
Die 60. Biennale findet in schwierigen Zeiten statt. In vielen Ländern buhlen Populisten und Extremisten um Macht; soziale Ungleichheit und die Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher; Krieg ist auch in Westeuropa kein Fremdwort mehr. 2022 zog das Künstlerteam des russischen Pavillons seinen Beitrag aus Protest gegen den Angriff auf die Ukraine zurück. Für die Biennale 2024 hatte Russland erst gar keine Teilnahme angekündigt. Die Ukraine dagegen wird mit einem eigenen Beitrag vertreten sein, genau wie 2022.
Die Biennale beginnt am Samstag mit einem Performance-Programm und mit der Verleihung zweier Goldener Löwen für das Lebenswerk: an die in Italien geborene Brasilianerin Anna Maria Maiolino und die Türkin Nil Yalter, in Kairo geboren. Kurator Pedrosa lobte sie als "zwei außergewöhnliche, bahnbrechende Künstlerinnen, die ebenfalls Migrantinnen sind und in vielerlei Hinsicht den Geist von Stranieri Ovunque - Foreigners Everywhere verkörpern".
Das Leben von Menschen in Haft ist weit weg vom Leben draußen - Mit einer Kunstschau in einer Haftanstalt auf der Biennale will der Vatikan diese Grenze überbrücken - Von Clara Engelien
Als erster Papst besucht Franziskus am 28. April die bekannte Kunstschau Biennale - Seinen Pavillon hat der Vatikan im Frauengefängnis Giudecca platziert