Erhitzte mediale Debatte um nächsten Anlauf eines muslimischen Verhüllungsverbotes
Kopftuchverbot: Schutz des Kinderwohls oder Diskriminierung?
12.09.202512:00
Erhitzte mediale Debatte um nächsten Anlauf eines muslimischen Verhüllungsverbotes
Als Symbol gegen die Unterdrückung junger muslimischer Mädchen, gegen "extremistische Tendenzen" und für Chancengleichheit hat die Regierung am 10. September einen Gesetzesentwurf für ein Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren präsentiert. Hitzige Debatten darüber, ob das Verbot eine Diskriminierung, eine Verletzung des Gleichheitsrechts und der Religionsfreiheit oder tatsächlich ein probates Mittel sei, um "Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit im Bildungswesen herzustellen", wie es im erklärten Wirkungsziel heißt, ließen nicht lange auf sich warten. Schon 2020 wurde ein 2019 eingeführtes Kopftuchverbot in Österreich für Schülerinnen in der Volksschule durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgehoben. Unklar ist, ob der neue Gesetzesentwurf vor dem VfGH halten wird.
Für einen solch massiven Eingriff in die Grundrechte müsse der Staat gute Gründe und eine sachlich nachvollziehbare, angemessene Rechtfertigung vorlegen können, erklärte der Kirchen- und Religionsrechtler Andreas Kowatsch im Interview mit Kathpress. Demnach müsse ein höherrangiges Ziel vorliegen, so zum Beispiel das Kindeswohl, das stärker wiege als die Religionsfreiheit der Eltern. Jugendliche sind in Österreich erst ab dem 14. Lebensjahr voll religionsmündig.
Das Erbringen standhafter Nachweise für die Rechtfertigung des "Bundesgesetzes zur Stärkung der Selbstbestimmung von unmündigen Mädchen an Schulen mittels eines Kopftuchverbots" könnte sich allerdings als schwierig gestalten, gab Kowatsch zu verstehen. So musste etwa Integrationsministerin Claudia Plakolm gegenüber dem ORF einräumen, dass es keine Erhebungen dazu gebe, wie viele junge Mädchen unfreiwillig das Kopftuch tragen.
Inhomogene Gruppe
Dies kritisierte auch die Lehrerin, Bloggerin und Kopftuchträgerin Menerva Hammad im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" (12. September). Die Gruppe der kopftuchtragenden Mädchen sei nicht homogen. Es gäbe auch Mädchen, die aus österreichischen Familien stammen oder aus komplett areligiösen, die Kopftuch tragen, weil sie das Bedürfnis nach Zugehörigkeit hätten. Mit einem Kopftuchverbot nehme man ihnen das Recht und die "höchst persönliche Entscheidung" ab, über dieses Symbol mitzubestimmen.
Weiters gab Hammad zu bedenken, dass das Kopftuch in patriarchalischen Strukturen nur die "Spitze des Eisbergs" sei, passiere die Unterdrückung doch auf vielen Ebenen. Ein Kopftuchverbot könnte mit sich bringen, dass diese Mädchen öfter in der Schule fehlen, bei Ausflügen nicht mitfahren und ausgeschlossen werden. Das Verbot greife das Grundproblem nicht an, sei rassistisch und würde Integrationsprobleme nur verschärfen.
Frage des Gleichheitsgrundsatzes
Als heikel gilt der Gesetzesentwurf, da er ausschließlich "das Tragen von Kopftüchern islamischer Tradition" reglementiert. Schon 2020 hieß es in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, dass ein Verbot, das eine "einzige religiös oder weltanschaulich begründete Bekleidungsvorschrift" herausgreife, "gezielt eine bestimmte Gruppe von Menschen" stigmatisiere und dem Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates widerspreche. Der Gleichheitsgrundsatz und die Religionsfreiheit würden dadurch verletzt.
Darauf ging auch Daniel Bischof in der "Presse" (11. September) ein. "Geht das Höchstgericht nicht von dieser Judikatur ab, ist es kaum vorstellbar, warum das Verbot nun beim zweiten Anlauf halten sollte", so sein Urteil. Schließlich ziele das Verbot wieder auf Musliminnen ab, "auch wenn man es etwas anders ausgestaltet als beim ersten Mal".
Falsche Adressaten
Rechtliche Einwände wurden bereits vom Verfassungsrechtsexperten Heinz Mayer formuliert. Er halte eine verfassungskonforme Umsetzung des Kopftuchverbots für schwierig, wie er bei einer Pressekonferenz am 10. September erklärte. "Der VfGH hat 2020 sehr enge Grenzen gesetzt. Es geht um die Unterdrückung von Mädchen, und da hat der VfGH völlig richtig gesagt: Warum setzt man nicht bei den Unterdrückern an? Warum setzt man bei den Mädchen an?" Geldstrafen von 1.000 Euro seien "keine gute Idee". Das Kopftuch sei ein Symbol, aber das Verbot bekämpfe nicht die Ursache.
Als Warnung legitim
"Die Gefahr besteht, dass das Verbot - Stichwort Symbolpolitik - als Kampfansage an die Musliminnen und Muslime im Land instrumentalisiert wird", urteilte Walter Hämmerle in der "Kleinen Zeitung" (11. September) - sowohl von "eifernden Gegnern" als auch von Befürwortern. Dies gelte es zu verhindern.
Als Warnung vor muslimischen Parallelgesellschaften sei das Verbot aber legitim. "Dass eine Vertreterin der Islamischen Glaubensgemeinschaft das Kopftuch für Mädchen als äußeren Akt feministischer Emanzipation darstellt, ist eine bizarre Verdrehung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in den großstädtischen Problemzonen", so Hämmerle. Wo die Kritiker mit Sicherheit recht hätten, sei der Hinweis, dass das geplante Gesetz die zugrunde liegenden Probleme nicht zu lösen imstande sein wird. "So einfach lassen sich tief sitzende Überzeugungen nicht durch ein simples rechtliches Gebot aushebeln - ansonsten wären sie nämlich keine."
Hinkender Vergleich
Der Hinweis Plakolms auf eine Studie aus Frankreich, wonach das Verbot dort eine Verbesserung der schulischen Leistungen der Mädchen und eine integrationsfördernde Wirkung zur Folge gehabt habe, wurde mehrfach infrage gestellt. "Frankreich hat alle auffälligen religiösen Symbole verboten, also auch Judensterne oder Turbane von Sikhs. Sie zielen nur auf das Kopftuch. Es gibt zwei andere französische Studien, die genau zum gegenteiligen Ergebnis kommen und sagen: Es gibt weniger Abschlüsse von Mädchen seit dem Kopftuchverbot als vorher. Die zitieren sie nicht", konterte ORF-Journalist Armin Wolf im "ZIB 2"-Interview.
Zudem sei nicht erwähnt worden, dass Frankreich ein streng laizistischer Staat sei und dieses Verbot für die gesamte Schulzeit gelte, also bis zum Ende des Lycée mit 18 Jahren, ergänzten die "Salzburger Nachrichten". - Auch Kowatsch hatte gegenüber Kathpress angemerkt, der Vergleich mit Österreich sei insofern nicht zulässig, als man kein laizistischer Staat sei wie Frankreich.
Muslime: "Attentat auf Grundrechte"
Auch die Islamische Föderation meldete sich zu Wort und bezeichnete das Kopftuchverbot als "ein Attentat auf Grundrechte sowie Demokratie", das "Nährboden für Stigmatisierung" schaffe. Es gehe der Regierung nicht um die Kinder, sondern um "politisches Kleingeld", wurde kritisiert. Das Ziel sei, "von der islamfeindlichen Stimmung zu profitieren". Die Durchsetzung der Chancengleichheit und die Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen werde nicht durch Verbote erreicht, sondern durch gezielte Förderungen, hieß es. "Indes wählt die Politik den Weg der Spaltung in der Gesellschaft. Dies spiegelt sich in den steigenden Zahlen rassistischer Übergriffe auf Musliminnen und Muslime."
Plakolms Sprungbrett
Die "Kronen Zeitung" interpretierte das "knackige Thema" Kopftuchverbot als Sprungbrett für Plakolm. "Im Wettlauf um die vielleicht eher früher als später anstehende Nachfolge an der ÖVP-Spitze hat die Ministerin jetzt die Nase vorne", kommentierte Claus Pandi in der Ausgabe vom 12. September. Sollten die Höchstrichter das Kopftuchverbot abschmettern, könne sie "als Kämpferin für das Abendland gegen eine linkswoke Justiz nicht nur in ihrer Partei, sondern vielleicht sogar bei wankelmütigen Freiheitlichen ein paar Stimmen abstauben".
Regierung will "Entwicklungsfreiheit" schützen
Die Regierung argumentiert mit dem Kindeswohl, dem "Schutz der kindgerechten Entwicklungs- und Entfaltungsfreiheit". Als Ziel des Kopftuchverbots formuliert sie den "Schutz vor Segregation und Unterdrückung von unmündigen minderjährigen Mädchen, insbesondere aus muslimischen Familien". Kinder unter 14 Jahren würden "entwicklungsbedingt noch nicht über die kognitive Reife und emotionale Abstraktionsfähigkeit verfügen, um die religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung symbolischer Bekleidung eigenständig zu beurteilen", heißt es in einem Begleitschreiben des Gesetzesentwurfs.
Das Kopftuch wird in einem Informationstext zum Ministerialentwurf als Ausdruck geschlechtsbezogener Rollenzuweisung verstanden, "welche die Entwicklungsfreiheit beeinträchtigen kann". "Anders als bei Kippa oder Patka soll beim Kopftuch eine problematische geschlechtsspezifische Bedeutung vorliegen."
Werde Bekleidung "mit emotionalen Begriffen wie Ehre, Scham oder Sittsamkeit verknüpft", könne "dies zu psychischer Belastung, Rollenkonflikten und langfristiger Verunsicherung führen. Solcher Druck aus dem Umfeld kann, insbesondere wenn er mit Schuldzuweisungen oder emotionaler Erpressung einhergeht, eine Form psychischer Gewalt darstellen". Die Begutachtungsfrist des Gesetzesentwurfs endet am 23. Oktober.