Grünwidl: "Glaube und Macht ist keine gute Verbindung"
15.11.202513:27
(zuletzt bearbeitet am 15.11.2025 um 14:03 Uhr)
Österreich/Kirche/Glaube/Politik/Grünwidl
Designierter Wiener Erzbischof im "Standard"-Interview über schrumpfende Kirche und deren bleibende gesellschaftliche Bedeutung - Ernennung durch Papst Leo ist Zeichen dafür, dass im Vatikan jetzt auch reformoffene Bischöfe gewünscht seien - Instrumentalisierung religiöser Symbole für Kirche nicht akzeptabel - In APA-Interview Kritik an Trump und Kickl - Ja zu Reformen, nein zu Ungehorsam
Wien, 15.11.2025 (KAP) Der designierte Wiener Erzbischof Josef Grünwidl sieht die katholische Kirche in Österreich in einer Phase des tiefgreifenden Wandels. Sie verliere zwar Mitglieder, bleibe aber gesellschaftlich relevant. Mit rund einer Million Gläubigen sowie 600 Pfarren verfüge die Erzdiözese weiterhin über eine tragfähige Basis - auch wenn der Katholikenanteil in Österreich zuletzt auf unter 50 Prozent gefallen sei, so Grünwidl im "Standard" (Ausgabe 15./16. November). Er sehe das "aber nicht nur negativ, denn wenn ich das Evangelium anschaue, dann finde ich nirgends eine Stelle, wo Jesus uns verspricht: 'Ihr werdet die Mehrheit sein, ihr werdet viel Geld haben, ihr werdet Privilegien und Einfluss haben'." Grünwidls Überzeugung: "Glaube und Macht oder Kirche und Macht ist keine gute Verbindung."
Er halte zugleich nichts davon, die Kirche als "kleine Herde" zu glorifizieren und zu sagen, "das ist das Bessere". Die Kirche müsse lernen, sich "in diese neue Rolle, dass wir ärmer sind und machtloser und nicht mehr die Mehrheit, einzuleben". Christsein sei heute "eine freie Entscheidung", eine Option, und keine gesellschaftliche Konvention mehr. Aber auch, wenn die Mitglieder weniger werden, sei er zuversichtlich: "Wir werden nicht weniger wichtig für die Gesellschaft.
Grünwidl begründete dies mit drei Aspekten: "Ich glaube, dass ein Mensch, der kirchlich sozialisiert ist oder der in einer Religionsgemeinschaft beheimatet ist, resilient ist und Widerstandskraft hat, gerade auch in Zeiten, in denen wir leben, wo es so viele Spannungen, Probleme gibt, Frust, Ängste, vielleicht auch Aggressionen." Weiters bilde die Kirche ein Solidaritätsnetz, das bei Not trage. Und drittens stärke der Glaube eine "Perspektive der Hoffnung".
Nun auch reformoffene Bischöfe erwünscht
In Fragen innerkirchlicher Reformen zeigt sich Grünwidl weiterhin offen. Den priesterlichen Zölibat bezeichnete er als "wertvolle Lebensform", plädierte aber dafür, stärker auf die individuelle Berufung zu achten. Dass das Priestertum zwingend mit Ehelosigkeit verbunden sein müsse, sei lange Zeit unüblich gewesen und aus seiner Sicht offen. Frauen wolle im kirchlichen Alltag und in Entscheidungsprozessen stärker einbeziehen. Höchste Leitungsämter - etwa auf Ebene diözesaner Behörden - stünden ihnen bereits offen, eine Weihe von Frauen sei derzeit jedoch "kein Thema".
Mit Blick auf die päpstliche Reformoffenheit erkennt Grünwidl "eine Öffnung" bereits unter Papst Franziskus. Dass er selbst von Franziskus als Administrator und später von Papst Leo zum Erzbischof ernannt wurde, werte er als Zeichen, dass im Vatikan jetzt auch Bischöfe mit seinen Positionen gewünscht seien.
Zum Thema Missbrauch verwies Grünwidl auf umfangreiche Präventionsstrukturen in allen Pfarren. Die Opferschutzkommission arbeite "weiter und wird nie fertig sein", da es neben sexuellem Missbrauch auch um Formen wie Mobbing oder geistlichen Missbrauch gehe.
Wachstum beobachtet Grünwidl derzeit vor allem bei Freikirchen und autoritär geprägten Erweckungsbewegungen. Deren Zulauf erklärt er mit dem Wunsch jüngerer Menschen nach klaren Vorgaben. Er äußerte jedoch Bedenken gegenüber einfachen Antworten und strikten Regeln. Der christliche Glaube gründe auf Freiheit. " Wenn da vorne jemand steht, der mir sagt, was ich zu tun habe und wie es geht und nur so und nicht anders, dann wäre ich sehr vorsichtig." Dass die katholische Kirche früher selbst autoritär aufgetreten sei, räumt Grünwidl ein: "Das haben wir getan in einer Zeit, wo wir die Macht hatten."
Beim Kopftuchverbot zeigte sich Grünwidl skeptisch. Maßnahmen, die in religiöse Praxis eingreifen, sollten weder auf Zwang noch auf Verbot setzen. Christliches Leben spiele sich zudem nicht ausschließlich innerhalb kirchlicher Strukturen ab. Viele Menschen lebten das Evangelium, ohne kirchlich gebunden zu sein.
Kreuz nicht missbrauchen, "um zu spalten"
Religion bleibe immer auch politisch, sagte Grünwidl mit Blick auf Stellungnahmen der Bischofskonferenz, etwa zur Bekämpfung von Armut oder Antisemitismus. Religion sei immer auch politisch in dem Sinn, "dass wir Wertevorstellungen einbringen und ethische Grundsätze verteidigen", so der designierte Erzbischof. Wahlempfehlungen lehne er allerdings ab. Sorgen bereiten ihm politische Instrumentalisierungen religiöser Symbole. Wenn das Kreuz eingesetzt werde, "um zu spalten", sei eine Grenze überschritten, "die wir als Kirche nicht akzeptieren können". Kritik übte Grünwidl zudem an Sozialkürzungen zulasten der Schwächsten.
Für seine eigene Amtszeit formuliert Grünwidl keine persönlichen Erfolgsziele. Entscheidend sei, dass die Kirche den Transformationsprozess konstruktiv bewältige. "Von mir muss kein Erfolg bleiben. Das Evangelium soll Erfolg haben."
Kritik an Trump und Kickl
Klartext in Bezug auf "bedenkliche" politische Entwicklungen sprach der designierte Erzbischof Josef Grünwidl in einem am Samstag veröffentlichten APA-Interview. Er erwähnte Politiker wie den US-Präsidenten Donald Trump, die sich "als Erlöser, als Messias stilisieren und verehren lassen. Als seien Sie die neuen Heilsbringer". Dies sei eine "gefährliche und sehr bedenkliche Ethik".
Grünwidl teile, wie er sagte, auch die Kritik des Salzburger Erzbischofs und Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Franz Lackner, an FPÖ-Chef Herbert Kickl, der in einer Parteitagsrede mit religiösen Anspielungen nicht gespart hatte. Wo das Evangelium oder andere christliche Symbole dafür verwendet werden, um zu polarisieren, werde das Christentum missbraucht.
Die katholische Kirche habe immer auch einen politischen Auftrag - wenn auch keinen parteipolitischen, erklärte der designierte Erzbischof. Laut dem bis zu seiner Weihe im Jänner noch als Diözesanadministrator wirkenden Geistlichen würden "Glaube oder Religion wird immer politisch sein", da sie ja etwas mit Wertehaltungen und Lebensformen zu tun hätten. Allerdings: "Parteipolitik ist nicht Sache der Kirche."
Grünwidl wies gegenüber der APA auch auf die jüngsten Erklärungen der Bischofskonferenz zum Sozialstaat hin. Er warnte vor einer Konsolidierung des Staatshaushalts auf Kosten der Armen und Schwachen: "Sonst ist es ein Budget, das auf lange Sicht große soziale Spannungen verursacht. Die Spannungen werden noch größer, die Armut wird größer statt kleiner und das wird große Probleme zur Folge haben."
"Tacheles reden" in kritischem Gehorsam
Was Grünwidl einem jungen Mann raten würde, der sich nicht zwischen Priestertum und Ehe entscheiden kann? "Ich würde ihm sagen, dass das in unserer Kirche zurzeit nicht möglich ist, beide Wege zu gehen. Er soll das noch einmal gut überlegen und prüfen, ob er auch unter den Bedingungen, die zurzeit in unserer Kirche gelten, bereit wäre, diesen Schritt zu tun."
Dass Grünwidl offen für Veränderung ist, bewies seine einstige Mitgliedschaft in der Reformen einfordernden Pfarrerinitiative. "Ich war auch einmal jung und hatte eine Sturm-und-Drang-Phase." Als neu eingesetzter Pfarrer sei er nahe bei den Menschen gewesen. "Und ich habe dort auch viele Menschen kennengelernt, die unter den geltenden Regelungen der Kirche gelitten haben." Als allerdings der "Aufruf zum Ungehorsam" kam, habe Grünwidl sich "ein bisschen schwer getan". Denn auch Reformen und Veränderung würden ohne Bischof nicht gehen.
Auch Kardinal Schönborn habe er damals gesagt, "ich bin einer, der mit kritischem Gehorsam mit ihm gehen möchte". Und auch sonst habe er immer versucht, dem Kardinal offen seine Meinung zu sagen. "Dass wir ehrlich miteinander reden oder, wie es so schön heißt im Jüdischen, Tacheles reden. Ich glaube, das ist ein Thema, das wir in der Kirche lernen müssen".
Durch Personalnot und Priestermangel bedingte Pfarrzusammenlegungen würden nun zu einem Ende kommen, kündigte der künftige Erzbischof an. "Wir sind da in der Erzdiözese Wien jetzt einigermaßen in der Zielgeraden." Die Kirche dürfe sich nicht zu viel mit Strukturfragen und sich selbst beschäftigen, betonte Grünwidl. "Das ist schon eine Gefahr, die es immer gibt."
Kein Vorsitzwechsel in Bischofskonferenz
Dass Grünwidl selbst zum Kardinal ernannt werden könnte, sieht dieser derzeit nicht als realistisch. "Bei Kardinal Schönborn hat es drei Jahre gedauert. Und ich bin sehr froh und dankbar, wenn ich jetzt einmal Zeit habe, als Erzbischof in diesem Amt gut anzukommen." Grundsätzlich wäre eine Stimme aus Österreich bei einer Papstwahl aber wünschenswert: "Aus österreichischer Perspektive hätte das wahrscheinlich Sinn." Papst Franziskus habe hier aber ganz bewusst eine andere Linie eingeschlagen und Kardinäle aus dem globalen Süden ernannt. Ob Papst Leo diese Linie weiterführt, sei noch offen, so Grünwidl.
Auch weitere Aufgaben, wie den Vorsitz der Bischofskonferenz, strebt Grünwidl derzeit nicht an: "Ich werde im Jänner zum Bischof geweiht und im März wird gewählt. Ich stehe also zwei Monate nach meiner Bischofsfeier als Vorsitzender nicht zur Verfügung. Ich finde, Erzbischof Lackner macht das sehr gut."