Podiumsdiskussion an Uni Graz mit Pastoraltheologin Polak, Religionssoziologe Pollack und evangelischem Theologen Körtner über Rolle des Christentums in pluraler Gesellschaft
Graz, 14.11.2025 (KAP) Angesichts verlorener sozialer und gesellschaftlicher Relevanz sind Kirche und Glaube aufgefordert, sich in "Mehrsprachigkeit" zu üben, d.h. ihre Anliegen und Überzeugungen säkular zu übersetzen, ohne das Eigene dabei aufzugeben. Das war der Tenor einer Podiumsveranstaltung am Donnerstagabend an der Universität Graz. Unter dem Titel "Vom Wert des Glaubens" diskutierten die katholische Pastoraltheologin Regina Polak, der deutsche Religionssoziologe Detlef Pollack und der Wiener evangelische Theologe Ulrich Körtner über die "Rolle des Christentums in pluraler Gesellschaft", so der Untertitel der Veranstaltung an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz.
Die Kirche sei heute gefordert, sich nicht allein an säkulare Erwartungen auszurichten, sondern durch ein selbstbewusstes, solidarisches und glaubwürdiges Auftreten gesellschaftlich relevant zu bleiben, zeigten sich die Theologin und die beiden Theologen überzeugt. Religiöse Anliegen müssten so vermittelt werden, dass sie auch außerhalb kirchlicher Räume verstanden werden. Zugleich gebe es aber auch das "Unübersetzbare", das den Eigenwert des Religiösen ausmacht und sich nicht vollständig in gesellschaftliche Kategorien übertragen lässt. Daraus ergibt sich die Aufgabe, dass Kirche und Gläubige "mehrsprachig" und in die Gesellschaft hineinwirken sollten, ohne dabei politisch instrumentalisiert zu werden.
Zu Beginn hatten Pollack, Körtner und Polak in Impulsvorträgen die massiven Transformationsprozesse im Verhältnis von Religion, Kirchen und Gesellschaft skizziert. Dabei zeigte sich der Religionssoziologe Pollack skeptisch gegenüber der gesellschaftlichen Relevanz von Religion. Die "soziale Notwendigkeit von Religion" sei nicht mehr gegeben, erklärte er. Studien würden belegen, dass die wichtigste Quelle für den Zusammenhalt heute die Wirtschaft sei. Der Zuständigkeitsbereich der Religion begrenze sich für immer mehr Menschen rein auf das Religiöse. In moralischen und gesellschaftlichen Fragen werde der Religion und auch den Kirchen keine besondere Kompetenz mehr zugesprochen. Deshalb solle sich die Kirche auf ihre eigenen Kompetenzen, wie etwa das "Dasein für Schwache" und "ehrenamtliches Engagement" konzentrieren, plädierte Pollack. Bevormundung und autoritäres Auftreten seien zu vermeiden. Nur so könne Vertrauen gewonnen werden.
Die Wiener Pastoraltheologin und Werteforscherin Regina Polak, Professorin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, knüpfte ebenfalls an aktuelle empirische Befunde an. Mit Blick auf die Studie "Was glaubt Österreich?" stellte sie fest: "Der Glaube an einen persönlichen Gott hat einen Tiefpunkt erreicht." Bei der Frage, woher Menschen ihre Orientierung bei moralischen Entscheidungen beziehen, liege "Religion" an vorletzter Stelle. Polak sprach in diesem Zusammenhang auch von einer zunehmenden "Instrumentalisierung des Wertebegriffs". Das Christentum werde vielfach nur noch als "kulturelles Erbe" wahrgenommen. Damit gehe nicht selten eine Ablehnung von Minderheitengruppen einher, was höchst problematisch sei. Aus pastoraltheologischer Sicht forderte sie daher eine "ethische Reflexion" des Wertebegriffs. Kirchliche Gemeinden und Gemeinschaften sollten als "zentraler Ort des Wertelernens" gefördert werden. Nur so könne Religion einen konstruktiven Beitrag leisten, ohne in Abgrenzungsdiskurse zu verfallen.
Der Wiener evangelische Theologe und emeritierte Universitätsprofessor für Systematische Theologie, Ulrich Körtner, unterstrich die Notwendigkeit, angesichts eines schwindendes gesellschaftlichen Zusammenhalts jene Kräfte zu stärken, die das Verbindende in der Demokratie über das Trennende stellen. Dazu könne auch Religion zählen. Schließlich seien der säkulare demokratische Rechtsstaat und eine pluralistische Gesellschaft "auf Bindekräfte angewiesen, die über die bloße Befolgung von Rechtsvorschriften und materielle Bedürfnisbefriedigung hinausgehen. Das Christentum kann hier eine gemeinwohlfördernde Rolle spielen", so Körtner.
Zugleich warnte der Theologe vor einer funktionalen Verkürzung von Religion auf die Bereitstellung gemeinsamer Werte: Was Christen verbinde, seien nicht gemeinsame Werte, sondern "der gemeinsame Glaube" und "Gott, der in Christus Mensch geworden ist", betonte Körtner: "Getragen von der Gewissheit, dass uns Gott verbindet und in der Welt als seiner Schöpfung wirkt, sollen und wollen wir uns auch als Bürgerinnen und Bürger im demokratischen Gemeinwesen und für die Demokratie als Regierungs- und Lebensform einsetzen."