Österreichs erste evangelische Bischöfin über Krisenfestigkeit, Geschlechterrollen und Hoffnung als geistliche Haltung
Wien, 14.11.2025 (KAP) Angesichts sinkender Mitgliederzahl, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Krisen sowie tiefgreifender Umbrüche in kirchlichen Strukturen steht die Evangelische Kirche A.B. in Österreich vor neuen Herausforderungen. Gefragt sei nun Resilienz, also die Fähigkeit, Krisen zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen, sagte dazu die evangelische Bischöfin Cornelia Richter im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress. Denn: "Angst ist kein guter Ratgeber", so die 55-jährige Theologin, die bis zu ihrer Wahl zu Bischöfin im Mai an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn zum Thema Resilienz forschte.
Widerstandsfähigkeit sei nun auch in ihrer neuen Rolle gefragt, bei der es darum gehe "Sachorientierung, also die Fähigkeit zuzuhören, Herausforderungen klar zu analysieren und mit Gestaltungswillen anzugehen" zu leben. Das Bischofsamt sei damit weniger eine Managerposition, denn als Beziehungsgeschehen zu verstehen, meinte Richter. Und auch Resilienz sei dabei "kein individueller Charakterzug, sondern gemeinsame Praxis der evangelischen Gemeinschaft".
Mit Cornelia Richter hat die Evangelische Kirche A.B. in Österreich Neuland betreten: Erstmals steht eine Frau an der Spitze der Kirche. Ihr Leitungsamt erklärte die aus Oberösterreich stammende Professorin im Interview als geistliches, kommunikatives und repräsentatives Amt: "Ich sehe meine Aufgabe darin, zwischen Generationen, theologischen Strömungen, Regionen und Geschlechtern Brücken zu schlagen."
Kirche lässt sich auf Neues ein
Dass sie selbst einmal zur Bischöfin gewählt werden könnte, hielt Richter lange für unwahrscheinlich: "Ich habe bis zum Auszählen der Wahlzettel nicht wirklich geglaubt, dass diese Wahl über die Bühne geht. Ich habe immer noch gedacht, das kann doch nicht sein, da muss doch noch irgendeine österreichische Kandidatin, ein österreichischer Kandidat jetzt irgendwo herkommen." Dass sie das Vertrauen der Synode erhielt, wertet sie rückblickend als Zeichen "dafür, dass sich unsere Kirche auf Neues einlassen will, auch auf neue Formen von Leitung".
Für den Start bestimmend sei die Dankbarkeit für das große Vertrauen der Gemeinden, der Superintendentialversammlungen und der Synode, "diese Kirche fröhlich in die Zukunft zu führen". In all dem orientiere sie sich an dem Wahlspruch: "Fürchte dich nicht ... Ich habe dich bei meinem Namen gerufen, du bist mein!" Diese Zusage aus Jesaja 43,1 sei "ein Lebenstext" der neuen Bischöfin, sagte sie im Interview mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag". Denn: "Wir dürfen uns fürchten, müssen es aber nicht." Der christliche Glaube sei sozusagen vom "Prinzip Hoffnung".
Vielfalt der Stimmen
Als Frau in einem traditionell männlich geprägten Amt sieht Richter sich weniger als Symbolfigur, sondern vielmehr als Anstossgeberin: "Ich bin mir der Vorbildfunktion bewusst. Aber wichtiger als mein Geschlecht ist, welche Perspektiven wir gemeinsam eröffnen können." Dass viele Frauen in kirchlichen Leitungsämtern neue Sprachformen und Haltungen einbringen, wertet sie dabei als Bereicherung: "Es geht nicht um Konkurrenz der Geschlechter, sondern um Vielfalt der Stimmen. Das Evangelium ist kein Monolog." Ihr Ziel sei es, junge evangelische Theologinnen und Pfarrerinnen zu Leitungsämtern zu motivieren. "Wir haben zwar in den meisten Gremien 50:50, für junge Frauen ist der Schritt zur Bischöfin aber noch immer zu weit weg", so Richter.
Die Herausforderungen, vor denen die evangelische Kirche steht, reichen weit über Organisationsfragen hinaus. Sie betreffen laut der am Samstag ins Amt eingeführten Bischöfin die geistliche Substanz kirchlichen Lebens und besonders die junge Generation. Konkret nannte Richter die schwindende Bindungskraft, den demografischen Wandel und die gesellschaftliche Polarisierung. Sichtbar werde dies am Fehlen von jungen Erwachsenen in den Gemeinden. "Kirchen, Vereine oder NGOs haben oft noch nicht ausreichend verstanden, wo und wie junge Menschen sich engagieren wollen." Die Austrittszahlen junger Erwachsener hätten aber auch viel damit zu tun, "dass viele mit 18 aus klassischen Gemeinden wegziehen und weniger ortsgebunden sind". Und weiter: "Wir müssen begreifen, wo sie heute Zugehörigkeit suchen und was sie von Kirche erwarten."
Viele Jugendliche erlebten aktuell Einsamkeit und suchten nach Formen echter Partizipation. Eine Antwort darauf zu finden, bezeichnet Richter als "eine zutiefst geistliche Frage". Nötig seien etwa neue Beteiligungsformen, Mut zu innovativen Konzepten, aber auch ein Blick auf bestehende Seelsorgeangebote. Schon jetzt könne die evangelische Kirche Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Lebenskrisen und Umbrüchen Unterstützung bieten; konkret durch erfahrene, ausgebildete Seelsorgerinnen und Seelsorger, die kostenlos zur Verfügung stünden. "Das ist ein Schatz, der noch viel tiefer ins Bewusstsein gerückt gehört", betonte die Bischöfin.
Tradition und Innovation
Mit Blick auf den Mitgliederrückgang warnte Richter jedoch vor einer zu engen Perspektive: "Wenn ich das nur als Kirchenproblem sehe, greift das zu kurz. Es ist Teil eines allgemeinen demografischen Wandels." In Zeiten der Umbrüche und Krisen plädiert die Theologin für einen respektvollen Umgang mit unterschiedlichen Traditionen und Aufbrüchen.
"Die Kunst besteht darin, Tradition und Innovation nebeneinander zu gestalten und gelten zu lassen." Evangelische Kirche sei, so Richter, besonders geeignet, "viele Stimmen zu einem Chor zu verbinden; manchmal ein bisschen spontan, aber laut und mit Begeisterung". Wichtig sei aber, sich nicht von "diffusen Ängsten, der eigenen Unsicherheit oder herumgeisternden Ohnmachtskonstellationen treiben zu lassen".
Ökumene "kostbares Lernfeld"
Ökumenisch versteht sich Richter als Brückenbauerin. Die enge Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche und anderen Konfessionen sieht sie als "kostbares Lernfeld", in dem Verschiedenheit nicht nivelliert, sondern produktiv gestaltet wird. Besonders die ökumenische Segnung - darunter auch von Ökumene-Bischof Manfred Scheuer und dem ernannten Wiener Erzbischof Josef Grünwidl - bei ihrer Amtseinführung habe für sie eine tiefe symbolische Bedeutung gehabt: "Das war kein rein liturgischer Akt, sondern ein sichtbares Zeichen dafür, dass wir einander anerkennen und gemeinsam Verantwortung tragen."
Vorsicht mahnte sie beim geplanten Kopftuchverbot an Schulen an. "Wenn man anfängt, in die inneren Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft politisch hineinzuregieren ohne mit ihnen Rücksprache zu halten, dann wird das in Zukunft auch für alle anderen Religionsgemeinschaften so gelten", so Richter im Interview mit den Salzburger Nachrichten (SN, 13. November).
Gleichzeitig feierliche Verabschiedung von Bischof Chalupka - Festgottesdienst u.a. mit Bundespräsident Van der Bellen, Bischof Scheuer und ernanntem Erzbischof Grünwidl - Bischöfin Richter: Vision der Bergpredigt gegen Hass und Gewalt
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Gleichzeitig feierliche Verabschiedung von Bischof Chalupka - Festgottesdienst u.a. mit Bundespräsident Van der Bellen, Bischof Scheuer und ernanntem Erzbischof Grünwidl live auf ORF 2
Michael Chalupka blickt in ORF-Interview auf Amtszeit als Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich - Entwicklung hin zu einer Kirche, "für die man sich entscheidet"