Neuer Abt von Saint-Maurice setzt auf geteilte Verantwortung
10.11.202514:58
Schweiz/Kirche/Orden
Traditionsreiche Schweizer Abtei wurde durch einen Missbrauchsskandal schwer erschüttert - Neu gewählter Abt Ineichen startet mit einem neuen Führungsmodell
Zürich, 10.11.2025 (KAP/KNA) Der neue Abt der traditionsreichen Schweizer Abtei Saint-Maurice, Alexandre Ineichen, will den Neuanfang der Gemeinschaft mit mehr Offenheit und geteilter Verantwortung gestalten. "Vertrauen entsteht durch Transparenz und Verantwortungsbewusstsein", sagte Ineichen dem Portal kath.ch am Montag. Zugleich sei ihm bewusst, "dass absolute Transparenz illusorisch ist". Ineichens Vorgänger, Jean Cesar Scarcella, war Ende Juni zurückgetreten. Vorausgegangen waren jahrelange schwere Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Umgang der Klostergemeinschaft mit Fällen sexuellen Missbrauchs.
Eine vom Orden der Augustiner-Chorherren eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission hatte in ihrem im Juni veröffentlichten Bericht festgestellt, dass zwischen 1960 und 2024 mindestens 67 Fälle sexualisierter Gewalt - zumeist an Minderjährigen - bekannt geworden seien, begangen von mindestens 30 Ordensmitgliedern. Die Abtei bat daraufhin "bedingungslos um Vergebung" und kündigte einen Aktionsplan an.
Zur Stärkung der Aufarbeitung und zur Verbesserung künftiger Entscheidungsprozesse sei nun ein Governance-Beirat eingerichtet worden, dem externe Fachpersonen angehören, erklärte Ineichen. Den Vorsitz übernehme Mari-Carmen Avila, die Präventionsbeauftragte der Diözese Lausanne, Genf und Freiburg. Ineichen begrüßte diesen Schritt ausdrücklich: "Die Wahl einer Frau, die Expertin für Missbrauchsfragen ist, erscheint mir sehr angemessen." Es sei wichtig, "eine Art Gegenmacht" zu haben, um Entscheidungen in Absprache treffen zu können", so der Abt.
Neues Führungsmodell für Kloster
Ineichen betont die Bedeutung gemeinsamer Entscheidungsfindung - eine Haltung, die er bereits in seiner bisherigen Funktion als Rektor des Kollegiums von Saint-Maurice gepflegt habe: "Als Rektor des Kollegs habe ich es immer für richtig gehalten, im Team zu arbeiten und Entscheidungen nicht alleine zu treffen." Auch in der Abtei solle künftig stärker der Dialog gepflegt werden: "Ich bin der Meinung, dass Probleme so schnell wie möglich geteilt werden müssen, um verschiedene Standpunkte zu erhalten."
Mit Blick auf die Missbrauchsfälle sprach sich der neue Abt für eine klare, aber zugleich menschliche Linie aus: "Ich bin für eine strenge Justiz gegenüber den Tätern und für gerechte Strafen, aber immer unter Wahrung des Rechts auf Verteidigung. Es gilt stets die Verhältnismäßigkeit zu wahren und, wenn möglich, für eine möglichst humane Wiedereingliederung der fehlbaren Mitbrüder in die Gemeinschaft zu sorgen."
Die Zukunft der Abtei sieht Ineichen in einer Kultur des Miteinanders: "Wir sollten keine Dienste mehr haben, bei denen ein Mitbruder ganz allein ist. Das ist auch eine Möglichkeit der Prävention." Vertrauen und Gemeinschaft seien, so Ineichen, der Schlüssel zur Erneuerung - sowohl nach innen als auch nach außen.
58-jähriger Alexandre Ineichen leitet künftig die traditionsreiche Abtei, die in den vergangenen Jahren durch einen Missbrauchsskandal schwer erschüttert wurde