Caritas, Diakonie, Jugend am Werk und Lebenshilfe sehen in Abkehr von inklusiver Bildung drastischen "Rückschritt" - Entsetzen auch bei Behindertenrat und Monitoringausschuss
Wien/Linz, 10.11.2025 (KAP) Caritas, Diakonie, Jugend am Werk und Lebenshilfe Österreich warnen vor dem Ausbau des Sonderschulwesens und fordern stattdessen gut gemachte Inklusion. Hintergrund ist der geplante Neubau von Sonderschulen in Oberösterreich sowie die Befürwortung des Erhalts solcher Einrichtungen in Salzburg und der Steiermark. "Sonderschulen trennen Kinder, diskriminieren sie und verwehren ihnen ihr Recht auf gleichberechtigte Bildung", betont Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser in einer Aussendung vom Montag. Sonderschulen seien ein "Rückschritt".
Die Organisationen verweisen auf die UN-Behindertenrechtskonvention von 2008, die Österreich zu einem inklusiven Bildungssystem verpflichtet. Nach 17 Jahren sei man jedoch davon weit entfernt, und "rückwärtsgewandte" Bildungspolitik gefährde Chancengleichheit.
Brigitte Gottschall von Jugend am Werk betonte, Kinder in inklusiven Schulen hätten nachweislich bessere Chancen in Schule, Ausbildung und Beruf. "Keine Studie belegt, dass segregierte Schulen bessere Ergebnisse liefern. Knapp die Hälfte der Sonderschulabsolventen ist anderthalb Jahre nach Abschluss weder in Ausbildung noch am Arbeitsmarkt", so Gottschall. Für erfolgreiche Inklusion seien jedoch Investition in Personal, geeignete Räume und tragfähige Strukturen an den bestehenden Schulen erforderlich. Die Expertin weiter: "Echte Inklusion entsteht nicht durch Absonderung, sondern durch den Ausbau gemeinsamer Lernorte."
Philippe Narval von Lebenshilfe Österreich unterstrich, dass auch die Oberstufe inklusiv gestaltet werden müsse. Ein politisches Bekenntnis dürfe "kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern sich in der Praxis widerspiegeln". Dass die Bundesregierung den Rechtsanspruch auf das 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf umsetzen will, befürworteten die Vertreter aller vier Trägerorganisationen. Zuvor sei der Besuch der Oberstufe von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf gar nicht vorgesehen gewesen.
Um den Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden und Chancengleichheit mit inklusiven Schulen gezielt zu fördern, fordern die Träger mehr Ressourcen, aufklärende Arbeit mit Eltern, den Ausbau gemeinsamer Lernorte und transparente Datenerhebung über Bildungsverläufe in unterschiedlichen Schulsystemen. "Unser Ziel ist klar: kein Nebeneinander, sondern ein Miteinander - Schritt für Schritt hin zu einem wirklich inklusiven Bildungssystem", so Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler.
Rückbau von Inklusion
Alarmiert über die Entwicklungen im Sonderschulwesen zeigte sich am Montag auch der Unabhängige Monitoringausschuss. Dessen Vorsitzende Daniela Rammel kritisierte, das Schulrecht von Kindern mit Behinderungen werde zunehmend infrage gestellt. In der Praxis ermögliche das sogenannte "Elternwahlrecht" keine echte Wahl, da inklusive Strukturen an Regelschulen unterfinanziert bleiben, von barrierefreien Transporten über Assistenz bis hin zu Gebärdensprachkompetenz. Rammel verwies auf die Empfehlungen des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen von 2023: Österreich müsse unverzüglich in ein inklusives Bildungssystem investieren und das segregierende Sonderschulsystem beenden.
Der Österreichische Behindertenrat betonte, dass von "Bildung, die Diversität lebt und fördert" alle Kinder und Jugendliche - ob mit oder ohne Behinderung - profitierten. Durch Österreichs sukzessiven "Rückbau von Inklusion" werde Kindern mit Behinderungen in Regelschulen notwendige Schulassistenzstunden verwehrt, teilweise mit der Begründung, sie seien "nicht schulfähig". Der Präsident des Behindertenrats, Klaus Widl, forderte ein klares politisches Bekenntnis zur Inklusion und die Umschichtung von Mitteln aus segregierenden Strukturen in inklusive Lernsettings, um pädagogisches Personal, Assistenzkräfte und gemeinsame Lernorte auszubauen.