Neue evangelische Bischöfin: Kirche muss zupacken und nahbar sein
09.11.202512:06
Österreich/Leute/Kirche/Christentum/Evangelische
Erste evangelische Bischöfin Österreichs in "Furche"-Interview über Seelsorge, Reformbedarf und klare Haltung zu Missbrauchsfällen
Wien, 09.11.2025 (KAP) Mit Cornelia Richter hat erstmals eine Frau das Amt der evangelischen Bischöfin in Österreich übernommen. Am Samstag wurde die Theologin in einem Festgottesdienst feierlich in ihr Amt eingeführt. Im Interview mit der Wochenzeitung "Die Furche" sprach die aus Oberösterreich stammende Professorin für Systematische Theologie über Herausforderungen wie den Mitgliederschwund, Umgang mit Missbrauchsfällen und Dialog mit Politik und Ökumene. "Wir leben in einer Epoche, in der die Krise kein Ausnahmezustand mehr ist. Da ist es entscheidend, zuzuhören und bei den Menschen zu sein", so Richter über ihren künftigen Fokus auf die Seelsorge. Entscheidend sei dabei auch der Dialog mit jüngeren Generationen, die anders als oft vermutet, an Glaubensthemen interessiert seien.
Richter wurde im Mai von der Synode der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich mit 64 von 68 Stimmen gewählt. "Ich bin der Meinung, dass Vertrauen auch verpflichtet, im positiven Sinn; und dass man in so einer Situation die Sachen anpacken muss", so Richter zu ihrer Wahl. Ihre Amtszeit beträgt zwölf Jahre. Ihr Amtsverständnis fasste Richter als "geistlich, kommunikativ und repräsentativ, und zwar genau in dieser Reihenfolge" zusammen. Sie sehe sich damit "als erste Pfarrerin in Österreich" und weniger in einer Management-Position. Prozesse sollten daher "weniger von oben nach unten, sondern von der Basis nach oben" gestaltet werden.
Auf Kernkompetenzen fokussieren
Selbstkritisch zeigte sich Richter im Blick auf die Kirchenentwicklung der letzten Jahrzehnte: "Der kritische Punkt ist, dass die Kirchen es irgendwann - und ich meine, das kann man relativ genau auf den Zeitraum vor rund 200 Jahren festlegen - verabsäumt haben, sich weiterzuentwickeln. Sie haben sich darauf verlassen, dass alles so bleiben wird, wie es ist." Und weiter: "Wir können uns als Kirche wegen unseres Schrumpfens also selbst kasteien - oder uns überlegen, was der Grund dafür ist", so die Professorin für Systematische Theologie und Hermeneutik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.
Angesprochen auf die Austrittszahlen und Zusammenlegung evangelischer Pfarren meinte Richter, dass sich die Gemeinden künftig "auf Kernkompetenzen fokussieren könnten." Die Evangelische Kirche sei zwar eine "kleine und überschaubare Kirche" - mit teils dem "Gefühl, eine Minderheit zu sein" - , habe aber trotz ihrer geringen Größe "eine relevante Aktionsfähigkeit". Ziel müsse es sein, den fröhlichen und "zupackenden" Geist weiter zu fördern.
Freikirchen: Kritik und Anerkennung
Mit Blick auf Freikirchen und evangelikale Gemeinden betonte sie: "Diese Gemeinden zeichnen sich oft durch eine sehr bibelzentrierte Frömmigkeit aus, was per se gar kein Problem ist. Problematisch wird es in meinen Augen dort, wo diese Gruppen vergessen, dass jede Bibellektüre und jede Auslegung der Bibel immer auch eine Interpretation ist." Wenn sich solche Gruppen "selbst zum Richter über den 'wahren Glauben' machen", werde es schwierig. Gleichzeitig erkenne sie an, dass diese Gemeinden mit ihrem fröhlichen Gestus und deren offenen Form Menschen sehr gut dort abholen, wo sie stehen: "Das heißt, wenn ich in eine neue Stadt ziehe, sind es mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Gruppen, die als erste Kontakt suchen und fragen, ob sie helfen können. Das machen sie schon sehr professionell, das muss man anerkennen."
Kein Verständnis zeigte Richter in Sachen Verharmlosung von Missbrauchsfällen - "nicht nur, weil wir uns das als Kirche nicht mehr leisten können, sondern vor allem, weil es menschlich einfach abgründig ist." Positiv bewertete die neue evangelische Bischöfin die seit 2011 existierende Zusammenarbeit der evangelischen Kirche mit dem "Weißen Ring", einer externen Opferschutzorganisation. Und weiter: "Das war auch eines der ersten Dinge, die ich mir angeschaut habe - mit dem Hintergedanken, dass, wenn diese Frage nicht ordentlich geregelt ist, ich das Amt nicht übernehmen werde."
Zur Ökumene sagte Richter, die evangelische Kirche wolle den Dialog fortsetzen, aber "auf Augenhöhe anerkannt werden". Auch der Austausch mit der Politik sollte am Evangelium orientiert bleiben. Kritik übte sie an parteipolitischer Vereinnahmung religiöser Symbolik: Wo immer Politiker auf andere Erlöser rekurrieren, um selbst als Erlöser dazustehen, ist ihr eigenes Programm vielleicht nicht so stark, wie man denkt."
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