Nüchterner Diplomat mit kleinen Schwächen - Als Nummer zwei des Vatikans vertrat er den erkrankten Papst
Vatikanstadt/Rom, 02.05.2025 (KAP) Es war im März 1939, als zuletzt der Chefdiplomat des Papstes zu seinem Nachfolger gewählt wurde: Fast 20 Jahre lang führte Eugenio Pacelli als Pius XII. die Kirche durch weltpolitisch schwierigste Zeiten. 85 Jahre später könnte wieder ein Kardinalstaatssekretär an der Schwelle zum Papstthron stehen. Pietro Parolin hat fast zwölf Jahre als oberster Unterhändler von Franziskus und als faktischer Chef der Römischen Kurie gedient. Für das bevorstehende Konklave sehen viele die bisherige Nummer zwei des Vatikans als künftiges Kirchenoberhaupt.
Vielfach hat sich der 70-Jährige als Virtuose auf der Klaviatur kirchlicher wie internationaler Diplomatie erwiesen. G-20 in Rio de Janeiro, UN-Klimagipfel in Baku, Krieg in der Ukraine oder Staatskrise im Libanon: Immer wieder schickte Franziskus seinen "verlängerten Arm" ins diplomatische Feuer.
Im persönlichen Umgang wirkt der Norditaliener moderat, offen und freundlich. Manchmal zeigt er ein herzliches Lächeln oder lässt im Gespräch ein leise seufzendes "Mamma mia" hören. Frauen, die im Vatikan arbeiten, berichten indes, sie fühlten sich von ihm nicht für voll genommen. Am wohlsten fühle er sich in der klassischen Kleriker-Männerwelt.
Die spektakuläre Begegnung von US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj am Rande der Papstbeisetzung wurde von Beobachtern als ein großer und wichtiger Erfolg Parolins gewertet. Weniger brillant war sein Auftritt als Prediger beim ersten großen Gottesdienst auf dem Petersplatz nach der Beisetzung. Es gelang ihm nicht, die vielen tausend dort versammelten Jugendlichen zu begeistern.
Mit 31 im Dienst des Vatikans
Geboren am 17. Jänner 1955 in Schiavon in der Provinz Piacenza, wurde Parolin dort 1980 nach dem Studium der Theologie und Philosophie zum Priester geweiht. Ab 1984 besuchte er die Päpstliche Diplomatenakademie. 1986 trat der promovierte Kirchenrechtler in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls.
Nach Stationen in Nigeria und Mexiko wurde er 1992 Nuntiaturrat in der Sektion des Staatssekretariates für die Beziehungen zu den Staaten. Hier war Parolin, der neben Italienisch auch Spanisch, Französisch und Englisch spricht, vor allem für Spanien, Andorra, Italien und San Marino zuständig.
Im November 2002 ernannte ihn Johannes Paul II. zum Vize-Außenminister des Vatikans. In dieser Funktion erreichte er bei den heiklen Gesprächen mit dem kommunistischen Vietnam eine Einigung zur gegenseitigen Anerkennung von Bischofsernennungen. Ebenso vollendete er die diffizilen diplomatischen Verhandlungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl.
2009 machte ihn Benedikt XVI. zum Nuntius in Venezuela und weihte ihn im Petersdom zum Bischof. Kurz nach seiner Papstwahl 2013 ernannte ihn Franziskus dann zum Kardinalstaatssekretär und berief ihn im Juli 2014 in die Kardinalskommission für die Kurienreform.
Geheimabkommen mit China
Eine weitere diplomatische Mammutaufgabe gelang Parolin 2018 mit dem Geheimabkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Bischofsernennungen mit China. Dessen dritte Verlängerung - diesmal ohne zeitliche Begrenzung - erfolgte im Herbst 2024.
Schon länger wird der überzeugte Europäer als fähiger Nachfolger seines Chefs gehandelt. Für das Papstamt wäre Parolin noch jung genug, ist diplomatisch mit allen Wassern gewaschen, unter den Kardinälen bekannt und in vielen Themen zu Hause. Dass er nie Bischof einer Diözese war und kaum pastorale Erfahrung hat, sehen manche als Mangel.
Andererseits hat Parolin wohl keine Leichen im Keller, was den Umgang mit Verdachtsfällen von sexuellem Missbrauch angeht. Aus dem Finanzskandal im Staatssekretariat um seinen Vertreter Giovanni Angelo Becciu und dem folgenden vatikanischen Strafprozess kam er weitgehend ungeschoren heraus; doch restlos aufgeklärt ist seine Rolle in dem Fall bis heute nicht.
Bürokrat mit Überblick
Obwohl enger Mitarbeiter von Franziskus, steht er nicht im Ruf, eine Neuauflage des charismatischen Argentiniers sein zu wollen. Im Gegenteil: Parolin gilt als eher trockener Bürokrat, der aber Ruhe in die stark polarisierte Kirche bringen könnte. Und nach fast 50 Jahren wäre er endlich der von vielen Landsleuten ersehnte Italiener auf dem Papstthron.
Eine Prostata-Operation Ende 2020 ließ Zweifel an der erforderlichen Fitness aufkommen. Doch schon wenige Wochen später kehrte Parolin an den Schreibtisch zurück. Zuletzt durfte er während des Spitalsaufenthalts von Franziskus als einer der wenigen an dessen Krankenbett. Und als Nummer zwei des Vatikans kam es ihm zu, Staatsgäste zu empfangen und wichtige Gespräche zu führen.
Im laufenden Vorkonklave wirkte er nach Angaben von Teilnehmern oft angespannt. Die römische Zeitung "Il Tempo" berichtete gar von einem angeblichen kreislaufbedingten Schwächeanfall, der auch den Kardinälen nicht verborgen geblieben sei. Am Freitag dann das klare Dementi vom Vatikan: "Es ist nichts passiert; das ist nicht wahr", so Sprecher Matteo Bruni vor Journalisten. Parolin sei auch nicht von medizinischem Personal behandelt worden.
Beim eigentlichen Konklave in der Sixtinischen Kapelle wird Parolin aufgrund seines Rangs im Kardinalskollegium die Leitung übernehmen. Nach dem Dauerstress durch Krankheit und Tod des Papstes ist dies die nächste Herausforderung für den stets kontrolliert wirkenden Mann mit den Pianistenhänden. Bewältigt er sie mit Bravour, könnte der nächste auf dem Stuhl Petri Pietro Parolin heißen.