Sohn eines Fischers als Petrus-Nachfolger? Der gebürtige Spanier war lange Jahre Chef des Salesianerordens bevor er vor wenigen Monaten auf einen Posten im Vatikan wechselte
Rom, 02.05.2025 (KAP) Mitunter ernennt ein Papst jemanden zum Kardinal, der kein Bischof ist. Oft sind es alte, verdiente Theologen. Doch als Franziskus im September 2023 bei der Bekanntgabe neuer Kardinäle den Namen Angel Fernandez Artime nannte, zogen viele die Augenbrauen hoch: kein Bischof und "erst" 63 Jahre alt ...? Dabei hatte der Spanier zu diesem Zeitpunkt bereits mehr Führungserfahrung als mancher Bischof.
Fast zehn Jahre lang leitete Artime die Salesianer Don Boscos, den zweitgrößten katholischen Männerorden mit gut 14.000 Mitgliedern in rund 130 Ländern. Gleich zweimal hintereinander wählte ihn das Leitungsgremium zum Generaloberen. Als solcher steuerte er die Gemeinschaft durch unruhige Zeiten: finanzielle Probleme, Strukturreformen und Aufarbeitung von Missbrauch, der den Salesianern als Orden der Jugendarbeit und Bildung besonders zu schaffen macht.
Beim Gratulationsempfang nach der Kardinalserhebung im Dezember 2023 bildete sich eine ungewöhnlich lange Schlange, um der neuen Eminenz zu gratulieren und Selfies zu schießen. Dabei trug Artime statt roter Soutane ein schwarzes Hemd mit offenem Kragen. So etwas wird im und um den Vatikan herum aufmerksam registriert. Vier Monate später wurde Artime zum Bischof geweiht.
Internat statt Fischerboot
Geboren wurde Angel Fernandez Artime am 21. September 1960 in der nordspanischen Kleinstadt Gozon als Sohn einer Fischerfamilie. 13 Jahre lang nahm sein Vater ihn mit aufs Meer, sah in ihm seinen Nachfolger. "Den Geruch frischen Fischs habe ich heute noch in der Nase", verriet Fernandez Artime 2022 in einem TV-Interview. Eine ältere Touristin habe den Eltern aber nahegelegt, den Sohn auf eine höhere Schule zu geben. Als Zehnjähriger zog er ins Internat, besuchte später das von Salesianern geleitete Centro Don Bosco in Leon.
Angel wollte Medizin studieren - die Eltern wolten ihn im Fischerboot. Lange habe er mit sich und der Situation gerungen, sagte Artime später, entschied am Ende aber selbst und ging zu den Salesianern. In Valladolid studierte er Philosophie, in Santiago de Compostela Theologie. 1978 folgten die ersten Ordensgelübde, 1984 die Ewige Profess; drei Jahre später wurde er Priester. Etliche Jahre arbeitete der junge Priester - wie es Ordensgründer Giovanni Bosco (1815-1888) wollte - als Lehrer und Jugendseelsorger.
Ab 2000 rückte Artime mehr und mehr in die Leitung der Salesianer auf: erst in seiner Heimatprovinz Leon, ab 2009 für die südargentinische Provinz. In Buenos Aires lernte er Erzbischof Jorge Mario Bergoglio kennen, der 2013 Papst wurde. Im März 2014 wurde Fernandez Artime Generaloberer der Salesianer und sechs Jahre später in diesem Amt bestätigt. 2018 war Artime Mitglied der Jugendsynode im Vatikan.
Kardinal, einer Frau untergeordnet
Kurz nach der Kardinalserhebung 2023 berief der Papst Artime in die Vatikanbehörde für das Ordensleben; bis zum Sommer 2024 übte er gleichzeitig weiter sein Amt als Generaloberer aus. Im Jänner 2025 dann konstruierte Franziskus mit Artime eine neuartige, bislang einzigartige Leitungsstruktur einer Vatikanbehörde: Er ernannte die italienische Ordensfrau Simona Brambilla zur Leiterin (Präfektin) der Ordensbehörde und Artime zum Vize (Pro-Präfekten). Zwar gab es dort in der zweiten Reihe schon lange je einen Ordensmann und eine Ordensfrau. Aber eine Frau als Chefin, das war neu.
Warum jedoch ein Kardinal als beigeordneter Leiter? So manche Stimmen meinten, Franziskus traue einer Frau die komplette Leitung einer Behörde noch nicht zu. Zutreffender scheint: Franziskus traute der Kurie noch nicht zu, mit einer Frau als Behörden-Chefin umzugehen. Deshalb unterstellte er ihr einen Kardinal, der zur Not auf seinen Kardinalshut tippen kann: Liebe Mitbrüder, was die Präfektin sagt, gilt! Und der dem Rest der Kirche signalisiert: der erste Kardinal, der unter einer Frau dient. Zudem ist das eine Absicherung gegen das noch geltende Kirchenrecht, dem zufolge Kleriker nur von Klerikern Anweisungen erhalten können. Zur Not unterschrieb eben Artime statt Brambilla.
Sollte Fernandez Artime Papst werden, hätte er eine, wenn auch kurze, Erfahrung mit einer männlich-weiblichen Doppelspitze. Auch kennt er aus der Erfahrung seines Ordens die wachsende Säkularisierung junger Menschen und erlebt, wie die Gestalt der Kirche immer "südlicher" wird. Was gegen Artime sprechen könnte: Er ist Teil eines weltweiten Ordensnetzwerks, dessen Mitglieder bereits viele Schlüsselpositionen besetzen. Nach dem Jesuiten Franziskus, Mitglied des größten Männerordens, möchte mancher Papstwähler wohl nicht gleich wieder einen Ordensmann auf dem Stuhl des Petrus sehen.